Nach fast drei Jahren Haft ist Abdullah Ibhais wieder frei. Der frühere Medienmanager des WM-Organisationskomitees in Katar hatte 2019 auf Missstände bei der Behandlung von Gastarbeitern aufmerksam gemacht – und wurde daraufhin zum Staatsfeind erklärt. Sein Fall wirft ein grelles Licht auf Katars Umgang mit Kritik, die Rolle internationaler Sportverbände und die Frage, was aus Whistleblowern wird, wenn die Scheinwerfer der Weltöffentlichkeit erlöschen.
Ein interner Kritiker wird mundtot gemacht
Abdullah Ibhais war bis 2019 als arabischsprachiger Medienmanager beim Supreme Committee for Delivery and Legacy tätig – jenem Gremium, das Katars Fußball-WM vorbereitete. Im August 2019 kritisierte er intern die Nichtzahlung von Löhnen an tausende streikende Gastarbeiter. Wenige Wochen später wurde er suspendiert, im November desselben Jahres verhaftet.
Die offiziellen Vorwürfe: „Bestechung“, „Veruntreuung öffentlicher Gelder“ und die „Manipulation öffentlicher Ausschreibungen“. Doch internationale Beobachter halten die Anklage für konstruiert. Ibhais selbst sprach von einem erzwungenen Geständnis – unter Drohungen und ohne Zugang zu einem Anwalt. Laut Human Rights Watch und FairSquare wurde er neun Tage lang ohne Rechtsbeistand verhört. Ein UN-Gremium erklärte seine Festnahme später für „willkürlich“, das Verfahren für unfair.
Justiz oder Rache?
Im April 2021 wurde Ibhais zunächst zu fünf Jahren Haft und rund 41.000 US-Dollar Geldstrafe verurteilt. Eine Berufungsinstanz reduzierte das Strafmaß auf drei Jahre – ließ die Anklage aber bestehen. Die Verteidigung konnte ihre Argumente kaum einbringen; das Geständnis war das einzige Beweismittel.
Im März 2025 wurde Ibhais überraschend freigelassen und nach Jordanien abgeschoben. Von Amman aus kündigte er rechtliche Schritte gegen das Supreme Committee und die FIFA an – beide hätten, so Ibhais, ihre Verpflichtungen gegenüber Whistleblowern verletzt.
FIFA: Menschenrechte nur auf dem Papier?
Die Rolle des Weltfußballverbands FIFA ist in diesem Fall besonders brisant. Ibhais hatte sich vor seiner Verhaftung auch an interne FIFA-Kanäle gewandt. Doch statt Schutz erhielt er Schweigen.
Offiziell erklärte die FIFA 2021, man vertraue auf das katarische Justizsystem und sehe keine Hinweise auf politische Einflussnahme. Die Organisation betonte, nicht in nationale Verfahren eingreifen zu können, versicherte aber „allgemein“ ihre Unterstützung für Menschenrechte und Whistleblower.
Menschenrechtsorganisationen kritisierten diese Haltung scharf. Die FIFA habe sich formalistisch und defensiv verhalten – und damit den Eindruck erweckt, ihre vielzitierten Menschenrechtsstandards hinter politischen und geschäftlichen Interessen zurückzustellen.
Internationale Reaktionen: Kritik ohne Konsequenzen
Zahlreiche NGOs wie Amnesty International, Human Rights Watch und FairSquare forderten Ibhais’ sofortige Freilassung. Auch einzelne Abgeordnete aus dem EU-Parlament sowie aus Großbritannien, Frankreich und Deutschland äußerten Kritik am Verhalten der FIFA.
Doch konkrete politische oder juristische Konsequenzen für den Weltfußballverband blieben aus. Der Europarat forderte 2023 zwar mehr Verantwortung von Sportverbänden – verwies dabei explizit auf den Fall Ibhais –, doch blieb auch dies eine Appellpolitik ohne Folgen.
Katars systematische Einschüchterung
Der Fall Ibhais steht exemplarisch für den Umgang Katars mit kritischen Stimmen. Whistleblower werden nicht geschützt, sondern kriminalisiert – etwa durch Vorwürfe wie Korruption, „Gefährdung der nationalen Sicherheit“ oder „Schädigung des internationalen Ansehens des Staates“.
In Ibhais’ Fall wurde überdies von psychischem Druck während der Haft berichtet: Dunkelhaft, Entzug von Lesematerial, Einschüchterung durch Wärter. Öffentlich wurde er in staatsnahen Medien als Verräter diffamiert.
Auch das persönliche Umfeld bleibt nicht verschont. Es gibt Berichte über Befragungen von Familienmitgliedern, Visaprobleme und berufliche Nachteile – Teil einer Strategie der sozialen Isolation und Abschreckung.
„Der Test wurde nicht bestanden“
Für viele Beobachter ist der Fall Ibhais mehr als eine individuelle Tragödie. Er steht symbolisch für die strukturelle Blindheit des internationalen Sports gegenüber autoritären Gastgebern – und für das Scheitern institutioneller Schutzmechanismen.
„Die FIFA hat Ibhais im Stich gelassen – und mit ihm ihre eigenen Werte“, so ein Sprecher von Human Rights Watch. Der Weltverband stehe heute exemplarisch für ein Problem, das längst über Katar hinausreiche: die Kluft zwischen PR und Prinzipien.
Ausblick: Ein Whistleblower spricht weiter
Trotz seiner Haft bleibt Abdullah Ibhais nicht still. In Interviews schildert er den Versuch, seine Stimme „zum Schweigen zu bringen“ – und kündigt an, weiter über die Zustände hinter den Kulissen der WM 2022 zu sprechen. Für ihn ist der Kampf nicht vorbei.
„Ich habe nicht für Geld gesprochen, nicht für Ruhm. Ich habe gesprochen, weil Menschen gelitten haben – und weil niemand hinsehen wollte.“
Sein Fall wirft die Frage auf: Wer schützt jene, die auf Missstände hinweisen – wenn selbst die mächtigsten Organisationen der Welt wegsehen?