Informierte Kreise haben bestätigt, dass die Arabische Republik Ägypten beschlossen hat, nicht an den vom 21. bis 27. Mai 2025 in Algerien stattfindenden Militärübungen „Africa Peace 3“ teilzunehmen. Die Entscheidung fiel, nachdem Kairo erfahren hatte, dass die Polisario-Front zu den teilnehmenden Parteien gehört – ein Umstand, der im ursprünglichen Abkommen, unter dem Ägypten seine Zustimmung gegeben hatte, nicht vorgesehen war. Der Rückzug Ägyptens erfolgt vor dem Hintergrund wachsender regionaler und internationaler Debatten über die politischen Implikationen dieser gemeinsamen Manöver.
Mehrere marokkanische Medien hatten die Übungen zuvor als „militärische Manöver unter dem Deckmantel regionaler Zusammenarbeit“ bezeichnet, die „provokative Botschaften in Bezug auf die territoriale Integrität Marokkos“ aussendeten. Insbesondere wurde die Teilnahme eines international nicht anerkannten Akteurs wie der Polisario-Front neben arabischen Staaten scharf kritisiert.
Ägypten stärkt Rabats Position
Ägyptens Entscheidung wird weithin als diplomatischer Erfolg für Marokko gewertet – und als deutliches Signal, dass einige arabische Hauptstädte sich nicht in Projekte einspannen lassen wollen, die gegen internationales Recht und langjährige Prinzipien der Neutralität in regionalen Konflikten verstoßen.
Laut mehreren Quellen äußerte Ägypten Unmut über die Art und Weise, wie die Polisario einbezogen wurde. Die Teilnahme an militärischen Übungen mit einer von den Vereinten Nationen nicht anerkannten Entität bringe die beteiligten Staaten in eine heikle Lage – sie könnten damit ungewollt ein separatistisches Projekt legitimieren, das die Stabilität der Region gefährde.
Auch wenn bislang keine offizielle Stellungnahme Ägyptens zum Rückzug vorliegt, wird erwartet, dass dieser Schritt zu einer Neubewertung innerhalb des Rahmens der „North Africa Capacity“ führen wird – insbesondere angesichts der zunehmend ambivalenten Positionen Libyens und Tunesiens sowie des wachsenden politischen Drucks auf die an den Übungen beteiligten Regierungen. Diese stehen nun unter Zugzwang, sowohl auf regionaler als auch auf internationaler Ebene rasch Klarheit zu schaffen.
Diplomatische Spannungen zwischen Tunesien und Marokko
Im Zusammenhang mit der Westsahara-Frage und der Polisario-Front hat das Königreich Marokko am 24. März 2025 die Mission seines Botschafters in Tunesien, Hassan Tariq, beendet, wie das marokkanische Außenministerium mitteilte. Während einige dies mit administrativen Gründen erklären – insbesondere mit Tariqs Ernennung zum UNESCO-Botschafter Marokkos – verweisen andere auf den breiteren diplomatischen Kontext und erinnern an Rabats frühere Entscheidung, seinen Botschafter abzuberufen, nachdem Tunesiens Präsident Kais Saied den Polisario-Führer Brahim Ghali während des Japan-Afrika-Gipfels „TICAD“ empfangen hatte.
Die Wurzeln der diplomatischen Krise reichen bis August 2022 zurück, als Marokko seinen Botschafter aus Tunis abzog – eine Reaktion auf Saieds Empfang Ghalis beim genannten Gipfel in Tunesien. Marokko bezeichnete den Empfang damals als „schweren und beispiellosen Akt, der die Gefühle des marokkanischen Volkes tief verletzt hat“ und sah darin einen Verstoß gegen seine kompromisslose Haltung zur Westsahara. Seither haben sich die politischen und diplomatischen Beziehungen zwischen beiden Ländern merklich abgekühlt.
Diese Eiszeit wirkt sich inzwischen auch auf den Handel aus: Marokko schloss Tunesien aus einer geplanten Importcharge von Olivenöl aus – ein wirtschaftliches Signal, das die Tiefe der Krise unterstreicht.
Der politische Analyst Nabil Rabehi erklärte dazu, dass der unbesetzte marokkanische Botschafterposten in Tunesien kein rein technisches Problem sei, sondern vielmehr ein klarer Ausdruck der wachsenden Entfremdung beider Staaten. Er verwies auf Saieds Empfang Ghalis sowie auf die Einladung einer Delegation aus der Westsahara zur Internationalen Handwerksmesse in Sfax im Februar 2024 – Provokationen, die Marokko scharf verurteilte.
Auseinanderdriftende Außenpolitiken
Rabehi betonte zudem, dass die Krise nicht allein auf die Westsahara-Frage beschränkt sei. „Es ist offensichtlich geworden, dass beide Länder zunehmend unterschiedliche politische Wege verfolgen. Tunesien lehnt unter Präsident Saied die Abraham-Abkommen ab, während Marokko sie offen unterstützt.“
Er verwies außerdem darauf, dass Marokko von einem jüngsten trilateralen Gipfel zwischen Tunesien, Algerien und Libyen ausgeschlossen wurde – ein Schritt, den Rabat als gezielte Schwächung des Maghreb-Union-Projekts deutet.
Rabehi warnte schließlich, dass die derzeitige diplomatische Entfremdung sich zu einem vollständigen Bruch entwickeln könnte – angesichts der grundlegenden Differenzen in den außenpolitischen Leitlinien beider Länder.
Stiller Pragmatismus
Der Analyst für strategische Fragen und Experte für internationale Beziehungen, Hicham Maatadad, betonte, dass Marokkos Entscheidung, den Botschafterposten in Tunesien unbesetzt zu lassen, kein routinemäßiger Vorgang sei, sondern ein bewusst gesetztes Signal. Rabat sehe derzeit keinen unmittelbaren Nutzen darin, die diplomatische Vertretung wieder zu besetzen – ein klares Indiz für eine anhaltende diplomatische Eiszeit.
Maatadad zufolge spiegelt diese Eiszeit eine vorsichtige marokkanische Neubewertung des politischen Kurses Tunesiens seit dem Amtsantritt von Präsident Kais Saied wider. Tunesien habe sich zunehmend an regionalen Agenden ausgerichtet – insbesondere an der Algeriens – und damit jenes außenpolitische Gleichgewicht verloren, das das Land zuvor ausgezeichnet habe.
Er erklärte: „Diese Orientierung Tunesiens könnte Marokkos Zurückhaltung erklären – insbesondere angesichts der ohnehin angespannten Beziehungen zwischen Marokko und Algerien. Die Abwesenheit eines marokkanischen Botschafters in Tunis ist somit Teil einer umfassenderen strategischen Lesart der politischen Dynamik in Nordafrika.“
Maatadad resümierte, dass Marokkos derzeitiger Kurs einem Konzept des „stillen Pragmatismus“ folge – man vermeide eine direkte Eskalation, signalisiere aber ebenso wenig die Bereitschaft zu einer diplomatischen Entspannung. Die Zukunft der marokkanisch-tunesischen Beziehungen hänge, so Maatadad, maßgeblich von der innenpolitischen Entwicklung Tunesiens ab – insbesondere davon, ob das Land wieder eine unabhängige Außenpolitik verfolgen könne, die nicht durch externe Einflüsse blockiert werde und Raum für ausgewogene regionale Partnerschaften lasse.
Bemühungen um Wiederannäherung
Khalid Chiat, Professor für internationale Beziehungen an der Universität Mohammed I in Oujda, unterstrich, dass nicht Marokko die diplomatische Eiszeit herbeigeführt habe. „Marokko kann als souveräner Staat keinen Akt der Provokation akzeptieren – schon gar nicht von einem Land, das traditionell durch Vorsicht und Neutralität geprägt war und somit ein verlässlicher Partner für Marokko in Bereichen wie Wirtschaft, Finanzen, humanitäre Zusammenarbeit und Kultur war.“
Chiat argumentierte, dass der Bruch auf Tunesiens Entscheidung zurückzuführen sei, den Anführer einer separatistischen Bewegung offiziell zu empfangen – ein Schritt, der von Marokko als tiefgreifende und existenzielle Provokation gewertet werde.
Die diplomatische Krise, die inzwischen fast drei Jahre andauert, habe sich bereits negativ auf wirtschaftliche und kulturelle Beziehungen ausgewirkt. Chiat machte Tunesiens zunehmende Annäherung an Algerien für die erschwerte Position in der Westsahara-Frage verantwortlich. Marokko bestehe weiterhin auf einer klaren Stellungnahme Tunesiens, in der die marokkanische Souveränität über das Gebiet anerkannt werde.
Zwar gebe es Bemühungen, die Beziehungen zu normalisieren, doch seien dafür konkrete Reformschritte seitens Tunesiens notwendig. Dass Tunesien regionale Kooperationsinitiativen ohne marokkanische Beteiligung verfolge, verschärfe die diplomatische Entfremdung weiter.
Reaktion des tunesischen Außenministeriums
Das tunesische Außenministerium hatte zuvor „tiefe Verwunderung über die inakzeptablen Anschuldigungen und Falschinformationen in Bezug auf die Teilnahme der Polisario an dem Gipfeltreffen“ geäußert.
Man bekräftigte Tunesiens „strikte Neutralität“ in der Westsahara-Frage – eine Haltung, die sich im Einklang mit der internationalen Legitimität befinde und bis zu einer friedlichen, einvernehmlichen Lösung unverändert bleibe.
Das Ministerium verwies auf die Verpflichtung Tunesiens gegenüber den Resolutionen der Vereinten Nationen und der Afrikanischen Union. Letztere – deren Gründungsmitglied Tunesien ist – habe zunächst ein allgemeines Memorandum an alle AU-Mitgliedsstaaten gesendet, darunter auch an die Polisario. Der Vorsitzende der AU-Kommission habe später eine direkte Einladung an die Polisario-Führung verschickt.
Man betonte außerdem, dass Tunesien sich bei der Organisation des Gipfels strikt an die rechtlichen Vorgaben der AU gehalten habe und weiterhin den Wunsch hege, „freundschaftliche, brüderliche und historisch gewachsene Beziehungen mit dem marokkanischen Volk“ zu pflegen.
Die größere Debatte um die Westsahara
Dieser diplomatische Konflikt ist Teil einer umfassenderen Reihe internationaler Auseinandersetzungen rund um die Westsahara-Frage, in die bereits Länder wie Spanien und Deutschland involviert sind. Zugleich spiegelt er die eskalierende regionale Rivalität zwischen Marokko und Algerien wider – letzteres gilt als der wichtigste Unterstützer der Polisario.
Marokko schlägt für die Region eine weitgehende Autonomie unter seiner Souveränität vor, während die Polisario auf ein von den UN organisiertes Referendum zur Selbstbestimmung besteht – eine Forderung, die Algerien ausdrücklich unterstützt und die durch die Aufnahme saharauischer Flüchtlinge auf algerischem Staatsgebiet zusätzlich politisch unterfüttert wird.