Von Noura Natour
In der arabischen Welt geschieht oft etwas Erstaunliches, sobald jemand ein Amt übernimmt und dadurch Macht erhält: Die betreffende Person verändert sich auf erschreckende Weise – so sehr, dass sie sich selbst womöglich kaum wiedererkennt. Was steckt hinter diesem plötzlichen Identitätswandel? Ein Stuhl ist doch – rein funktional betrachtet – nichts weiter als ein Sitzmöbel mit vier Beinen und einer Lehne, gedacht für den zeitweiligen Gebrauch.
Diese schlichte Definition trifft überall zu – außer bei Präsidial-, Minister- oder sonstigen hochrangigen Regierungssesseln in unserer Region. In diesen Fällen wird der Stuhl zu etwas anderem: zu einem Symbol unkontrollierter Macht, das Charaktere verändert und Werte umkehrt.
Was also unterscheidet einen Regierungssessel im arabischen Raum von dem eines Geschäftsführers oder gewöhnlichen Bürgers? Es ist nicht der Stuhl an sich – sondern die Macht, die ihm anhaftet. Wird diese Macht außerhalb rechtlicher Grenzen ausgeübt, wird der Stuhl zu einem gefährlichen Werkzeug – gelenkt von Willkür und persönlichen Gelüsten statt von Rechenschaftspflicht oder institutioneller Ordnung.
Wenn Machthaber keine Strafe fürchten müssen, legen sie oft ihre ethischen Maßstäbe und universellen menschlichen Werte ab. Gerechtigkeit wird zur selektiven Gunst, das Gesetz weicht dem Dschungelprinzip: Der Starke frisst den Schwachen, der Reiche zerdrückt den Armen.
Diese Stühle lasten seit Jahrzehnten schwer auf unseren Schultern – beladen mit Tyrannei und Arroganz. Seit unserer Geburt in diesen Ländern leiden wir unter der Blindheit und Taubheit derer, die in Machtpositionen sitzen. Wie die legendäre Umm Kulthum einst sang: „Wir wurden ins Elend geboren – ohne eigenes Verschulden.“ Die Araber allgemein, die Syrer im Besonderen, haben die Grausamkeit gewissenloser Beamter lange ertragen – eine Folge eines grundlegenden Defizits: der Abwesenheit von Recht im öffentlichen Leben. Recht wird nicht als tragende Säule verstanden, sondern als unerwünschtes Element, das in den Plänen der Herrschenden keinen Platz hat. Jede politische Kraft verfolgt ihre eigene Agenda – und keine lässt sich verwirklichen, solange der Machtsessel nicht blind, stumm und taub bleibt.
So bleibt das Recht ein Fremdkörper in unserer politischen Kultur. Und selbst wenn es einmal zur Welt kommt oder einen Platz erhält, drohen ihm Einsamkeit und Bedeutungslosigkeit – vergessen auf dem Tisch neben jenem lähmenden Stuhl, den es eigentlich zügeln sollte.
Oft haben wir Menschen gefeiert, deren Worte uns Hoffnung gaben. Wir haben sie gewählt, ihre Versprechen bejubelt – nur um dann mitansehen zu müssen, wie sie nach Amtsantritt in wenigen Tagen oder Wochen verstummten, abstumpften, sich entfernten. Wir suchen sie auf, appellieren an ihr Gewissen, erinnern sie an frühere Überzeugungen – doch unsere Worte verhallen. Enttäuscht verlassen wir ihr Büro, bitter darüber, erneut einem Opportunisten vertraut zu haben, der dieses Vertrauen nie verdient hat.
Das Problem liegt jedoch weder im Einzelnen noch im Stuhl selbst. Die eigentliche Krise ist das systematische Fehlen von Rechtsstaatlichkeit. Das Recht ist zur Legende geworden – sein bloßes Erwähnen grenzt an ein Wunder. Wir sind schließlich Menschen: anfällig für Begierde, Versuchung und Machtstreben.
Viele von uns hegen aufrichtige patriotische Gefühle und den ehrlichen Wunsch nach Reformen. Doch wer ein Amt übernimmt, sieht sich schnell mit der harten Realität von Hierarchie und Autorität konfrontiert. Ein „Nein“ gegenüber einem Vorgesetzten gilt als Wahnsinn – bestraft mit Tod, Haft oder Verbannung. Die Angst ergreift Besitz, und der Traum von Veränderung stirbt leise.
In diesem Klima ziehen manche den Rückzug der Konfrontation vor. Die Position wird zum Rückzugsort – ein Maß an Macht, das sich verwalten lässt. Und die menschliche Seele, anfällig für Gier und Macht, beginnt sich von ihren ursprünglichen Idealen und patriotischen Zielen zu entfernen. Mit wenigen Ausnahmen verlieren die meisten ihre Orientierung.
Ja, es gibt sie noch – jene, die mit ehrlichem Veränderungswillen in ein Amt gehen. Doch der Druck ist enorm, und viele treten rasch wieder ab – aus Angst davor, was Macht aus ihnen machen könnte, oder davor, Teil jenes korrupten Systems zu werden, das sie einst bekämpften.
In Ländern, die durch Recht – nicht durch Personen oder Ämter – regiert werden, dienen Beamte ihrem Amt und dem Volk. Ihre Zeit im Amt ist begrenzt, nicht ewig. Ewige Machtausübung aber erstickt Innovation, blockiert Fortschritt und ersetzt ihn durch Stillstand, Vetternwirtschaft, Angst und Unterdrückung. Kritik wird zum Verrat erklärt, Opposition zur Bedrohung – manchmal endet Widerspruch sogar tödlich, durch Mord.
Man muss sich fragen: Warum werden Kritiker und politische Gegner in unserer Region so konsequent aus dem öffentlichen Leben ausgeschlossen? Die gängige Antwort: Weil sie „den Staat destabilisieren“ und „ausländische Unterstützung“ erhalten – ein Etikett, das bequemerweise jedem angeheftet wird, der als „Verräter“ gelten soll.
Doch wer jeden Kritiker zum Verräter erklärt, nur weil er Korruption oder Ungerechtigkeit aufdeckt, schützt und rechtfertigt genau jene Korruption, die den Staat untergräbt. Auf diese Weise verfluchen autoritäre Sessel unsere Nationen – denn das Machtumfeld duldet weder Kritik noch Reform.
So bleiben zentrale Fragen unbeantwortet:
Ist jeder Ruf nach internationaler Hilfe wirklich Verrat?
Ist es ehrenhaft, autoritäre Strukturen unangetastet zu lassen, nur um den „Anschein staatlicher Würde“ zu wahren?
Lässt sich ein machtvoller, gesetzloser Posten allein durch die Moral seines Inhabers im Zaum halten – und wie lange?
Was geschieht, wenn ein einziger aufrechter Mensch das Recht hochhält, während das System um ihn herum gelähmt und verdorben ist?
Vielleicht können wir diese Fragen erst dann ehrlich beantworten, wenn wir das Gesetz als kollektive Rettung begreifen – nicht als Werkzeug selektiver Bestrafung. Erst dann können wir wirklich glauben, dass das Recht geschaffen wurde, um uns alle gleichermaßen zu schützen – nicht um die Mächtigen zu decken und den Rest zu bestrafen.