Von Ghazaleh Vaziri, Brüssel
Während der Nahostkonflikt weiter eskaliert und der Gazastreifen in Trümmern liegt, wagt Frankreich einen außenpolitischen Vorstoß, der sowohl risikoreich als auch ambitioniert ist. Ziel der von Paris gemeinsam mit Saudi-Arabien initiierten Palästina-Konferenz, die vom 17. bis 20. Juni in New York stattfand, ist nicht weniger als ein diplomatischer Durchbruch in einem Jahrzehnte währenden Konflikt – jenseits der bisherigen Kriegslogik. Präsident Emmanuel Macron setzt auf die Anerkennung Palästinas als strategisches Druckmittel, um die festgefahrenen Fronten im Nahen Osten zu bewegen.
Anerkennung Palästinas als diplomatischer Hebel
Wie Außenminister Jean-Noël Barrot auf der Plattform X betonte, gehe es um die Schaffung einer „regionalen Sicherheitsarchitektur für Israel“, die den Zustand permanenter Gewalt endlich ablösen könne. Für Präsident Macron ist klar: Der Konflikt braucht einen neuen politischen Anlaufpunkt. Die Zwangsumsiedlung der palästinensischen Bevölkerung aus dem Gazastreifen lehnt er entschieden ab – stattdessen müsse der Weg zurück zu Verhandlungen geebnet werden.
Im Zentrum steht dabei eine Idee, die an die sogenannten Abraham-Abkommen von 2020 anknüpft: eine regionale Normalisierung der Beziehungen zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarn, ergänzt um die internationale Anerkennung Palästinas. Der französische Präsident versteht diesen Ansatz als Erweiterung der von Donald Trump initiierten Diplomatie – mit dem Ziel, den Friedensprozess auf eine neue Grundlage zu stellen.
Dementi aus dem Élysée: Macron hält an Anerkennungsplänen fest
Berichte, wonach Frankreich seine Pläne zur Anerkennung Palästinas abgeschwächt oder die UN-Konferenz herabgestuft habe, wurden im Élysée energisch zurückgewiesen. Wie diplomatische Kreise in Paris betonen, liefen die Vorbereitungen auf Hochtouren, um einen symbolträchtigen und politischen Impuls zu setzen – und damit womöglich eine neue Dynamik in der Nahostdiplomatie zu erzeugen.
Dabei ist man sich der Risiken bewusst: Ein Scheitern könnte Frankreichs Rolle als Vermittler schwächen. Doch Macron, dessen außenpolitische Handschrift von strategischem Wagemut geprägt ist, schreckt vor diplomatischem Risiko nicht zurück. Bereits im Libanon hatte er es trotz massiver Widerstände geschafft, gemeinsam mit den USA eine fragile Waffenruhe durchzusetzen – ein Erfolg, der ihn nun auch im Kontext der Gaza-Krise zu einer Schlüsselrolle ermutigt.
Abbas’ Brief als Signal: Entwaffnung und politische Reform
Ein zentrales Element der französischen Initiative ist ein bislang kaum beachtetes Schreiben des Präsidenten der Palästinensischen Autonomiebehörde, Mahmud Abbas, an Macron und den saudischen Kronprinzen. Darin verurteilt Abbas ausdrücklich die Verbrechen der Hamas, fordert die Freilassung aller Geiseln und erklärt sich zur vollständigen Entwaffnung der Hamas bereit. Er plädiert für eine politische Neuordnung: Präsidenten- und Parlamentswahlen binnen eines Jahres, eine Entmilitarisierung der palästinensischen Gebiete sowie eine internationale Schutzmission unter UN-Mandat – alles Forderungen, die mit der Pariser Linie übereinstimmen.
Im französischen Außenministerium wird dieser Schritt als potenzieller Wendepunkt bewertet: Die palästinensische Führung zeige Bereitschaft zur Selbstkritik und Reform – ein Signal an arabische Staaten und an den Westen, dass es eine Alternative zur Hamas-Herrschaft gibt.
Wiederbelebung der Abraham-Logik
Frankreich strebt gemeinsam mit Jordanien, Ägypten und Saudi-Arabien danach, den Geist der Abraham-Abkommen zu reaktivieren. Die 2020 unter US-Präsident Trump geschlossenen Normalisierungsabkommen zwischen Israel und mehreren arabischen Staaten – darunter die Vereinigten Arabischen Emirate, Bahrain, später auch Marokko und Sudan – haben das strategische Koordinatensystem der Region verschoben.
Frankreichs Ansatz: Die neuen arabisch-israelischen Beziehungen könnten erweitert und vertieft werden, wenn zugleich ein glaubwürdiger Fahrplan zur Schaffung eines entmilitarisierten, anerkannten palästinensischen Staates vorgelegt wird. In Paris gilt diese Perspektive als realistischer als die Maximalforderungen früherer Friedensinitiativen.
Die Liste möglicher Kandidaten für eine künftige Normalisierung mit Israel reicht laut französischen Diplomaten von Staaten der Arabischen Liga bis zur Organisation für Islamische Zusammenarbeit (OIC). Voraussetzung: Fortschritte bei der Zwei-Staaten-Lösung, die inzwischen auch in weiten Teilen der arabischen Welt wieder als strategische Notwendigkeit gesehen wird.
Trump als Joker im Spiel?
Ein potenzieller Verbündeter Macrons ist ausgerechnet Donald Trump. Im Élysée-Palast geht man davon aus, dass der frühere US-Präsident und mögliche nächste Amtsinhaber für eine französisch-saudische Nahostinitiative zu gewinnen sein könnte – zumal der Friedensnobelpreis ein offenes Ziel seiner Agenda bleibt. Der französische Präsident steht in regelmäßigem Austausch mit Trumps Umfeld, insbesondere mit dem US-Sondergesandten Steve Witkoff – einem einflussreichen Immobilienunternehmer und langjährigen Trump-Vertrauten, der der Pariser Nahost- und Iranpolitik durchaus aufgeschlossen gegenübersteht.
Frankreich und die USA eint das strategische Ziel, einen iranischen Aufstieg zur Atommacht zu verhindern – trotz bestehender Differenzen in der Bewertung Israels und der Palästina-Frage. Störfeuer gibt es dennoch: Der US-Botschafter in Israel, Mike Huckabee, griff Paris scharf an. Er warf der französischen Regierung vor, Druck auf Israel auszuüben, und erklärte, die USA verfolgten keinen palästinensischen Staat mehr. Stattdessen solle – so seine provokante Forderung – ein muslimisches Land Gebiete für einen Palästinenserstaat bereitstellen oder Frankreich selbst „ein Stück der Côte d’Azur“ abtreten.
Zwischen Druck und Chance
In Paris überwiegt dennoch vorsichtiger Optimismus. Macron hofft, dass sich die USA – unabhängig vom Wahlausgang 2024 – für den französisch-saudischen Plan erwärmen könnten. Trump selbst hatte in seiner ersten Amtszeit betont, dass Normalisierung und wirtschaftliche Öffnung der Region nur bei gleichzeitiger Befriedung der Palästinafrage dauerhaft Bestand haben würden.
Auch Israels Premier Benjamin Netanjahu hatte sich 2009 grundsätzlich zur Zwei-Staaten-Lösung bekannt – sofern ein palästinensischer Staat demilitarisiert und zur Anerkennung Israels bereit sei. Paris erinnert nun gezielt an diese Äußerung – in der Hoffnung, dass sie erneut politisch verwertbar wird.
So steht die französische Initiative für einen diplomatischen Kurswechsel, der auf politische Anreize, internationale Sicherheitsgarantien und regionale Allianzen setzt – ein Gegenentwurf zur militärischen Eskalationsspirale der vergangenen Jahre.