Von David Hess
Seit dem Watergate-Skandal, der 1974 zum Rücktritt des damaligen US-Präsidenten Richard Nixon führte – jenem Präsidenten, der bis zuletzt auf seine Unschuld pochte und erklärte, er sei „kein Gauner“ („I am not a crook“) – hat sich das Suffix „-gate“ als Synonym für politische Skandale mit einem Hauch von Verrat, Vertuschung und Machtmissbrauch etabliert. Ob in Europa, Asien oder dem Nahen Osten – wann immer Machthaber oder ihre Vertrauten in dunkle Affären verwickelt sind, folgt unweigerlich ein „-gate“.
Auch im vorliegenden Fall, der in Israel mittlerweile unter dem Namen „Katargate“ bekannt ist und nichts mit dem Korruptionsskandal im Europäischen Parlament zu tun hat, drängt sich der Vergleich mit dem historischen Vorbild geradezu auf. Nicht nur reimen sich die Namen „Katargate“ und „Watergate“, auch inhaltlich lassen sich – zumindest für jene, die sich noch an die damaligen Enthüllungen erinnern können – verblüffende Parallelen feststellen. Ging es bei Watergate darum, einem Geldfluss nachzugehen, der zu illegalen Operationen gegen politische Gegner des Präsidenten führte, so führt in diesem Fall die Spur des Geldes von Katar – einem Staat, der als enger Unterstützer der Hamas gilt – direkt in die innersten Kreise von Premierminister Benjamin Netanjahu.
Oder, um es mit den Worten der legendären Watergate-Journalisten Bob Woodward und Carl Bernstein zu sagen: Das Geld führt zu „allen Männern des Premierministers“. Es geht nicht nur um mögliche finanzielle Unregelmäßigkeiten oder fragwürdige PR-Kampagnen, sondern um den Verdacht, dass ein feindlicher ausländischer Akteur gezielt Einfluss auf Israels Regierung genommen hat – und das in einer Phase historischer politischer und sicherheitspolitischer Zerreißproben. Der Vergleich mit Watergate ist daher nicht nur rhetorisch wirkungsvoll, sondern auch politisch hochbrisant.
Anders als beim historischen Watergate-Skandal, bei dem es um die illegale Überwachung politischer Gegner, das Einschleusen von Spitzeln und eine systematische Vertuschung von Wahlkampfmanipulationen ging, stehen bei „Katargate“ wesentlich gravierendere Vorwürfe im Raum – sowohl in ihrer politischen Tragweite als auch in ihrer sicherheitspolitischen Brisanz. Es geht in diesem Fall nicht um die Finanzierung von Abhöraktionen oder den Einsatz schmutziger Tricks im innenpolitischen Machtkampf. Was hier zur Debatte steht, ist der Verdacht, dass ranghohe Berater aus dem engsten Umfeld des israelischen Premierministers Zahlungen von einem ausländischen Staat angenommen haben – und zwar nicht von irgendeinem Staat, sondern von Katar, das seit Jahren als einer der wichtigsten politischen und finanziellen Unterstützer der Hamas gilt, einer Organisation, die sich erklärtermaßen die Zerstörung Israels auf die Fahnen geschrieben hat.
Wenn sich diese Vorwürfe bestätigen sollten, stünde nicht bloß Korruption im Raum, sondern der Verdacht einer massiven Unterwanderung der nationalen Souveränität. Es wäre nicht nur ein Fall klassischer Bestechlichkeit, sondern ein potenzieller Verrat an fundamentalen Interessen des Staates – ein Fall von Hochverrat im eigentlichen Sinne. Der Gedanke, dass ausländische Gelder aus Katar womöglich in die Entscheidungszentren der israelischen Regierung gelangt sind, während sich das Land in einem asymmetrischen Krieg gegen eben jene Kräfte befindet, die Katar unterstützt, ist für viele Israelis kaum zu fassen.
Doch damit nicht genug: Wie schon bei Watergate steht auch hier der Umgang mit der Affäre im Zentrum der Kritik. So wie Nixon in der legendären Episode des „Saturday Night Massacre“ versuchte, die gegen ihn ermittelnden Behörden durch die Entlassung des Sonderermittlers lahmzulegen – was letztlich zum Rücktritt sowohl des Justizministers als auch dessen Stellvertreters führte –, bemühen sich auch in Israel heute führende Regierungsvertreter darum, die Strafverfolgung zu behindern. Premierminister Netanjahu und sein Umfeld haben sich in den vergangenen Wochen auffallend stark darauf konzentriert, jene Beamten zu entlassen oder öffentlich zu diskreditieren, die maßgeblich an der Aufklärung von „Katargate“ beteiligt sind – darunter der Chef des Inlandsgeheimdienstes Schin Bet, Ronen Bar, sowie Generalstaatsanwältin Gali Baharav-Miara. Dieser Versuch, die Ermittlungen zu delegitimieren oder gar zu stoppen, ist in seiner Konsequenz nicht minder bedrohlich als die Affäre selbst – denn er bedroht die Unabhängigkeit der rechtsstaatlichen Institutionen, auf denen Israels Demokratie fußt.
Netanjahu und seine Verbündeten konzentrieren sich seit Wochen darauf, die Leiter der Behörden zu entlassen, die „Katargate“ untersuchen: den Chef des Inlandsgeheimdienstes Schin Bet, Ronen Bar, und Generalstaatsanwältin Gali Baharav-Miara. Als wäre das nicht schon dramatisch genug – damals bildeten der Vietnamkrieg und dessen Zerrüttung den Hintergrund für Watergate, heute nähren der endlose Gazakrieg und das schreckliche Schicksal der israelischen Geiseln die Empörung über „Katargate“.
Der Journalist, der in der Affäre als Verdächtiger befragt wurde – in deren Zentrum finanzielle Verbindungen zwischen Katar und Beratern von Premierminister Benjamin Netanjahu stehen –, hatte eine Botschaft für die jüdische Gemeinschaft verstärkt, die Teil einer PR-Kampagne zur Imagepflege Katars war. Netanjahu war zu diesem Zeitpunkt nicht im Amt.
Interne Dokumente der Firma Perception Marketing – geleitet von Netanjahus ehemaligem Berater Israel Einhorn – zeigen, dass geplant war, israelische und jüdische Journalisten mehrerer Medien nach Katar einzuladen. Ziel der Reise war laut den Unterlagen, „einen Einblick in die warmherzigen Vorbereitungen für Israelis und Juden“ zu geben und das Image Katars zu verbessern.
Die Kampagne – deren Botschaften von mehreren Medien und Journalisten aufgegriffen wurden, nicht nur von dem einen, der verhört wurde – betonte Katars Rolle als Vermittler zwischen Israel und der Hamas und war Teil einer Strategie, mehr jüdische Besucher für die Fußball-WM zu gewinnen. Auch wurde hervorgehoben, dass es koscheres Essen und Schabbat-Gottesdienste in einem der Stadien geben sollte.
Die Dokumente zeigen weiter, dass Einhorn und der inzwischen festgenommene Berater Yonatan Urich sogar vorgeschlagen hatten, eine provisorische Synagoge in Katars Hauptstadt Doha zu errichten, um zu zeigen, wie willkommen Israelis und Juden bei der WM seien.
Zur Unterstützung der katarischen PR-Initiative gründete Perception gemeinsam mit der israelischen Firma Koios ein Projekt mit dem Namen „Lighthouse“. Perception lieferte die Inhalte und die Strategie, Koios setzte die Kampagne mit einem Netzwerk aus Avataren und Webseiten um.
Eine Analyse durch Forscher ergab, dass diese Webseiten und Avatare auch nach der WM weiterhin pro-katarische Inhalte verbreiteten – sogar noch nach dem Beginn des Krieges mit der Hamas im Oktober 2023. Quellen, die mit der Zeitung Haaretz sprachen, bestätigten, dass die Kampagne während des gesamten Krieges weiterlief.
Im Februar enthüllte Channel 12 News, dass Feldstein – der im Zusammenhang mit der Bibileaks-Affäre angeklagt ist – ebenfalls an der PR-Arbeit für Katar beteiligt war. Er wurde demnach von Jay Footlik, einem US-Lobbyisten für Katar, engagiert.
Die Zusammenarbeit begann im April des vergangenen Jahres, nachdem Feldstein eine Sicherheitsüberprüfung nicht bestanden hatte. Laut Quellen aus Footliks Umfeld wusste dieser nicht, dass Feldstein für Premierminister Netanjahu arbeitete. Nachdem Feldstein als Verdächtiger im Fall der geheimen Dokumente galt, wurde der Kontakt umgehend abgebrochen.
Anfang des Jahres strahlte Kan 11 News einen Mitschnitt aus, in dem der Geschäftsmann Gil Birger zugibt, Geld an Feldstein gezahlt zu haben, während dieser für Netanjahu tätig war. Laut dem Bericht fungierte Birger als Mittelsmann für Zahlungen von Footlik an Feldstein. Nach Veröffentlichung der Aufnahme wurden Urich und Feldstein festgenommen und verhört. Beide wurden später offiziell verhaftet – unter anderem wegen Verdachts auf Kontakt zu einem ausländischen Agenten, Bestechung, Betrug, Untreue und Geldwäsche. Im Zuge der Ermittlungen wurde Netanjahu – mit Zustimmung von Generalstaatsanwältin Baharav-Miara – vorgeladen, um auszusagen. Ziel war, einer möglichen Behinderung der Justiz zuvorzukommen.
Neben Urich und Feldstein werden derzeit zwei weitere Personen verdächtigt – darunter der Journalist sowie eine weitere Schlüsselfigur in der Affäre. Der Journalist war zunächst nicht als Verdächtiger geladen worden, doch im Verlauf des Verhörs änderte die Polizei ihre Einschätzung. Er wurde gewarnt, dass auch gegen ihn nun wegen Kontakts zu einem ausländischen Agenten ermittelt werde, da er offenbar als Vermittler zwischen Feldstein und Birger fungierte.
Natürlich gibt es derzeit auf viele Fragen keine guten Antworten. Im besten Fall wäre es grobe Fahrlässigkeit, dass die engsten Mitarbeiter des israelischen Premierministers angeblich auf Katars Gehaltsliste standen – ein Zeichen erschreckender Inkompetenz. Das schlimmste Szenario wäre jedoch weit gefährlicher: ein Premierminister, der von alldem wusste – oder, Gott bewahre, sogar direkt in die ausländische Einflussnahme auf sein eigenes Amt involviert war.
Ein klarer Unterschied zwischen den beiden Skandalen bleibt dennoch: Nixon trat im August 1974 zurück, nachdem ihm drei führende Republikaner eröffnet hatten, dass seine Unterstützung in der Partei erloschen sei und ein Amtsenthebungsverfahren unausweichlich wäre. Ein solches Szenario ist in Israels heutiger Politik undenkbar. Die Führungsriege der Likud-Partei ist viel zu feige für ein solches Gespräch – und Netanjahu würde, dem bisherigen Verhalten nach zu urteilen, niemals freiwillig zurücktreten. Er wird bis zum bitteren Ende kämpfen.