Am 11. Juni 2025 verkündeten die sudanesischen Rapid Support Forces (RSF) die Kontrolle über das sogenannte „Grenzdreieck“ – jene Region, in der Sudan, Ägypten und Libyen aufeinandertreffen. Die Erklärung der paramilitärischen RSF wirft nicht nur ein Schlaglicht auf die Dynamik des andauernden Bürgerkriegs im Sudan, sondern ruft auch bei den Nachbarstaaten Besorgnis über mögliche Grenzverletzungen und territoriale Ansprüche hervor.
Die RSF sprach von einem „qualitativen Durchbruch“ und erklärte, man habe sudanesischen Regierungstruppen schwere Verluste zugefügt und zahlreiche Fahrzeuge erbeutet. Die sudanesische Armee bestätigte daraufhin ihren Rückzug aus dem Gebiet, sprach jedoch von einer „taktischen Repositionierung“ im Rahmen ihrer Verteidigungsstrategie zum Schutz nationaler Souveränität und strategischer Positionen.
Vorwürfe der Destabilisierung
Die Spannungen verschärften sich, als die sudanesischen Streitkräfte den RSF vorwarfen, Angriffe im Grenzgebiet in Absprache mit libyschen Truppen von Generalfeldmarschall Khalifa Haftar durchgeführt zu haben. Das sudanesische Militär sprach von einem „eklatanten Bruch der nationalen Souveränität“.
Die von Haftar kontrollierte libysche Parallelregierung wies die Vorwürfe zurück und erklärte, man halte sich an das Völkerrecht und mische sich nicht in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten ein. Auch die international anerkannte Regierung in Tripolis distanzierte sich von jeglicher Einmischung und warnte, dass Libyer, die sich an destabilisierenden Aktionen beteiligten, strafrechtlich verfolgt würden.
Unterdessen warf die Libysche Nationalarmee (LNA) den sudanesischen Streitkräften Provokationen vor, erklärte jedoch, man übe Zurückhaltung, um die bilateralen Beziehungen nicht zu gefährden. Die LNA beklagte zugleich, dass insbesondere der Osten Libyens unter den humanitären Folgen des sudanesischen Bürgerkriegs leide, da Hunderttausende Flüchtlinge über die Grenze strömten.
Die LNA wies jede Beteiligung an inner-sudanesischen Machtkämpfen zurück und warnte vor „transparenten Versuchen“, Libyen in den Konflikt hineinzuziehen. Man bekräftigte die Bereitschaft zur Unterstützung internationaler Friedensbemühungen – zugleich jedoch auch die Entschlossenheit, „jedes Stück libyschen Territoriums“ zu verteidigen.
Ägyptens Wachsamkeit
In Kairo wird die Lage aufmerksam verfolgt. Zwar bewerten ägyptische Sicherheitsexperten die unmittelbare militärische Relevanz des RSF-Vorstoßes als begrenzt, doch bei Bedrohung nationaler Sicherheitsinteressen kündigten sie entschlossene Gegenmaßnahmen an.
Generalmajor Mohamed Salah Abu Hemila, Mitglied des Verteidigungsausschusses im ägyptischen Parlament, sprach von einem „symbolischen Schritt“, mit dem die RSF von ihren Verlusten in Khartum ablenken wolle. Ägypten unterstütze die legitimen Institutionen Sudans, ohne sich militärisch auf eine Seite zu stellen – ein Standpunkt, den Kairo seit Beginn des Konflikts verfolgt.
Der pensionierte General Samir Farag nannte den Vorstoß der RSF ein „moralisches Manöver ohne strategischen Wert“. Ägypten halte sich trotz wiederholter Provokationen zurück, bleibe jedoch wachsam zum Schutz seiner Südgrenzen.
RSF-Kommandant Mohamed Hamdan Dagalo („Hemeti“) hatte Ägypten wiederholt beschuldigt, der sudanesischen Armee Waffen und Kriegsflugzeuge zu liefern – ein Vorwurf, den Kairo bereits 2024 entschieden zurückgewiesen hatte.
Politische Unterstützung statt militärischer Einmischung
Laut Abu Hemila steht Ägyptens Unterstützung für Sudan auf politischer, nicht militärischer Ebene. Man strebe Stabilität und institutionelle Ordnung im Nachbarland an. In einem kürzlichen Gespräch mit dem neuen sudanesischen Übergangs-Premier Kamil Idris sagte Ägyptens Regierungschef Mostafa Madbouly verstärkte bilaterale Kooperation zu.
Der ehemalige Botschafter Salah Halima, Mitglied des Ägyptischen Rats für Außenpolitik, verwies darauf, dass die Einnahme des Dreiecksgebietes mit den sudanesischen Vorwürfen gegen Libyen zusammenhänge. Der Schritt könne ein Signal für eine neue Eskalationsphase im Krieg sein – möglicherweise auch für den Aufbau einer „parallelen Verwaltung“ in RSF-kontrollierten Gebieten.
Halima warnte, dass jede direkte Bedrohung ägyptischen Territoriums eine „schnelle und entschlossene Reaktion“ nach sich ziehen würde. Ägyptens Wachsamkeit sei Ausdruck der Pflicht, seine territoriale Integrität zu wahren.
Strategisches Gelände, offene Fronten
Ein ehemaliger sudanesischer Offizier bezeichnete das Dreiecksgebiet als von strategischer Bedeutung – insbesondere wegen seiner Funktion als Nachschublinie aus Libyen. Das Gebiet liegt nördlich von El Fasher in Darfur, der letzten größeren Stadt der Region unter Kontrolle der Armee. Die RSF belagert El Fasher seit über einem Jahr.
Das Grenzdreieck gilt als Umschlagplatz für Migration, Handel und Schmuggel. Ein Militärposten und mehrere Handelsstationen ermöglichen den Transit von Gütern und Menschen – auch auf irregulärem Weg Richtung Nordafrika.
Ablenkung oder Strategie?
Der sudanesische Journalist Mohamed Mahmoud sieht in der Einnahme des Dreiecks weniger einen militärischen Durchbruch als vielmehr ein kalkuliertes Manöver: Nach schweren Rückschlägen in Zentral- und Ostsudan sowie in Khartum richte die RSF ihren Fokus nun auf periphere, aber wertvolle Gebiete – insbesondere solche mit Anbindung an Unterstützer wie Khalifa Haftar in Libyen.
Mahmoud geht davon aus, dass die Armee bald einen Gegenangriff starten wird: „Dieses Gebiet ist zu wichtig, um es kampflos zu überlassen.“
RSF in der Krise?
General Moatasem Abdel Qader von der sudanesischen Akademie für Strategie und Sicherheit sieht in der Offensive der RSF ein Ablenkungsmanöver. Die paramilitärische Truppe sei militärisch geschwächt, habe Nachwuchsprobleme in ihren einstigen Hochburgen Kordofan und Darfur und verlege Kämpfer an andere Fronten.
Zudem wachse der Widerstand in Regionen wie Nyala und Al-Du’ain, was zeige, dass die RSF an Rückhalt verliere. Die Offensive im Westen sei eher das Werk ausländischer Unterstützer, die versuchen, die sudanesische Armee durch neue Fronten zu schwächen und abzulenken.
Trotzdem sei die Armee vorbereitet: „Wir haben es nicht mit einer regulären Armee zu tun, sondern mit Söldnern, Waffenhändlern und Schmugglern“, so Abdel Qader. „Aber die SAF hat aus zwei Jahren Krieg gelernt und ist bereit.“
Er schloss mit der Warnung: „Sudan wird auf politischer, wirtschaftlicher und militärischer Ebene angegriffen. Das Land muss sich auf einen langen Abnutzungskrieg einstellen – an allen Fronten.“