Bei jüngsten bewaffneten Auseinandersetzungen in der libyschen Hauptstadt Tripolis kam es zu zahlreichen Toten und Verletzten sowie erheblichen Schäden an öffentlichem und privatem Eigentum. Eine der alarmierendsten Entwicklungen dabei war ein Massen-Ausbruch aus dem Al-Jdeida-Gefängnis, bei dem Hunderte Häftlinge – darunter hochrangige Terroristen und Mitglieder des IS – nach Panik aufgrund heftiger Gefechte vor dem Gefängnis fliehen konnten.
Wie die Justizpolizei Libyens mitteilte, habe die Gewalt rund um das Gefängnis Angst und Verwirrung ausgelöst, was zahlreiche Insassen – viele davon wegen schwerer Verbrechen zu langen Haftstrafen verurteilt – zur Flucht veranlasst habe. Die Behörde bestätigte, dass in der Einrichtung eine große Zahl an Hochrisiko-Häftlingen untergebracht war, und warnte, dass die anhaltende Gewalt „katastrophale und verheerende“ Folgen für die Sicherheit in Tripolis und im gesamten Land haben könnte.
Sicherheitslücke ermöglicht Flucht gefährlicher Straftäter
Ein auf sozialen Netzwerken weit verbreitetes Video soll den Moment der Flucht zeigen, in dem Dutzende Häftlinge aus dem Gefängnis stürmen. Der Vorfall löste heftige Reaktionen und Debatten im Internet aus. Kommentatoren äußerten die Befürchtung, dass die Geflüchteten bewaffnet sein und weitere Gewalt schüren könnten – manche vermuten sogar gezielte Manipulation durch ausländisch unterstützte Milizen, die im Namen nationaler Einheit operieren.
Ein Nutzer namens Mohammed Amin schrieb: „Diese Flüchtigen werden bewaffnet, um mehr Chaos zu stiften. Die Milizen in Libyen handeln nicht zufällig – sie sind hoch organisiert und folgen externen Befehlen.“ Ein anderer kommentierte: „Das ist nicht nur eine Flucht – es könnte strategische Rekrutierung sein. Achtet auf die Grenzen.“
Zugleich wurden Fragen zur Sicherheitslage des Gefängnisses laut. „Wie konnten sie fliehen? Waren die Türen aus Papier? Reichen ein paar Schüsse, damit sie aufspringen?“, fragte ein User sarkastisch. Eine besorgte Bürgerin namens Nasreen flehte: „Stoppt das Feuer – Unschuldige sind in Gefahr. Libyen braucht keine neuen Kämpfe, sondern Vernunft und Einheit.“
Flucht eines ISIS-Kommandeurs aus Hochsicherheitsflügel
Laut libyschen Medienberichten befand sich unter den Geflohenen auch der gefährlichste Häftling Westlibyens – Hashim Abu Sidra, alias Abu Khubayb, der ehemalige IS-Emir von Tripolis. Er wurde gemeinsam mit 26 weiteren IS-Mitgliedern in einer gesicherten Abteilung festgehalten. Insgesamt sollen sich im Al-Jdeida-Gefängnis über 3.200 Extremisten befunden haben – darunter auch Kämpfer von Al-Qaida und den Schura-Räten von Derna und Bengasi.
Die Spezialeinheit zur Terrorismusbekämpfung, die der libyschen Innenbehörde untersteht, hatte Abu Sidra zuvor bei einer präzise geplanten Operation gefasst, als er versuchte, aus dem Süden des Landes in die Hauptstadt zu reisen. Er wurde seit Jahren wegen terroristischer Aktivitäten und Verbrechen gegen die Staatssicherheit gesucht. Behörden bestätigten, dass er eine Schlüsselrolle bei der Einschleusung und Verankerung ausländischer Kämpfer in Libyen spielte.
Hauptverantwortlicher für das Massaker an koptischen Christen 2015 in Sirte
Bevor Abu Sidra zum IS-Führer in Libyen aufstieg, war er als „Emir für Migration und Grenzangelegenheiten“ tätig und gilt als Hauptverantwortlicher für das Massaker an ägyptischen Kopten im Jahr 2015 in Sirte. Berichten zufolge organisierte er Logistik, Transport und die Auswahl von Begräbnisstätten und war bekannt für seine operativen Fähigkeiten, insbesondere in Wüstengebieten. Zu seinen Aufgaben gehörte auch die Strukturierung terroristischer Zellen und die Koordination von Kämpferbewegungen innerhalb Libyens.
Obwohl die Präsenz des IS in Libyen in den letzten Jahren durch Tötungen oder Verhaftungen seiner Führungskräfte deutlich geschwächt wurde, existieren weiterhin verstreute Schläferzellen – besonders in abgelegenen Wüsten- und Bergregionen. Analysten warnen, dass das derzeit instabile Klima diesen Gruppen eine neue Gelegenheit zur Reorganisation bieten könnte.
Wachsende Angst vor terroristischer Wiedererstarkung
Experten warnen, dass Südlibyen mit seinen großen Öl- und Gasvorkommen und den porösen Grenzen zu mehreren krisengeschüttelten afrikanischen Staaten ein Magnet für Terrorgruppen bleibt. Die Flucht Abu Sidras könnte neue Vergeltungs- und Rekrutierungsbemühungen jihadistischer Gruppen befeuern.
Der Militärexperte und ehemalige Berater des libyschen Armeechefs, Adel Abdel Kafi, betonte die zentrale Rolle Abu Sidras. Er bezeichnete ihn als einen Schlüssel-Ausbilder sogenannter „Einzeltäter“, die fähig seien, gezielte Anschläge auszuführen. Zudem habe er eine maßgebliche Rolle bei der grenzüberschreitenden Bewegung von Kämpfern gespielt.
„Der IS verfolgt eine Strategie des Verschwindens bei hoher Sicherheitspräsenz und des Wiederauftauchens in Zeiten der Instabilität“, erklärte Abdel Kafi. „Seine Mitglieder tarnen sich oft als Zivilisten, um dann bei geschwächter Sicherheitslage erneut in Erscheinung zu treten.“
Er warnte, dass der IS eine verdeckte Agenda verfolge, die gezielt instabile Länder mit inneren Spaltungen und unkontrollierter Waffenverbreitung ausnutze – alles Merkmale, die derzeit auf Libyen zutreffen.
Aufruf zur Einheit inmitten eskalierender Gewalt
Während die Sicherheitskräfte fieberhaft versuchen, die Geflohenen wieder zu fassen, rufen Stimmen aus der Zivilgesellschaft zu Besonnenheit und Frieden auf. Eine Frau schrieb online: „Beruhigt das Feuer – Unschuldige sterben. Libyen braucht keine weitere Gewalt, sondern die Weisheit der Einheit.“
Der Gefängnisausbruch macht einmal mehr die fragile Sicherheitslage in Libyen deutlich – ein Land, das weiterhin von schwer bewaffneten Milizen, politischen Machtkämpfen und der Bedrohung durch Extremismus geprägt ist. Der Vorfall unterstreicht die Dringlichkeit einer landesweiten Anstrengung zur Wiederherstellung von Ordnung, zur Durchsetzung von Gerechtigkeit und zur Verhinderung einer Rückkehr terroristischer Gruppen.