Zum ersten Mal hat Russland offiziell den Einsatz nordkoreanischer Soldaten im Krieg gegen die Ukraine bestätigt. Bei einem Treffen mit Präsident Wladimir Putin lobte der russische Generalstabschef den „Mut“ und die „Heldenhaftigkeit“ nordkoreanischer Kämpfer, die an der Rückeroberung der Region Kursk beteiligt seien, und hob ihre „Professionalität“ und „Widerstandskraft“ beim Zurückdrängen ukrainischer Kräfte hervor.
Die Beteiligung nordkoreanischer Truppen markiert einen Wendepunkt im Ukrainekrieg – militärisch wie geopolitisch. Für manche Beobachter ist dies ein Zeichen militärischer Schwäche Russlands: Trotz jüngster Geländegewinne scheint Moskau zunehmend auf externe Alliierte angewiesen, da die Unterstützung im eigenen Land schwindet. Andere wiederum sehen darin den Beginn einer neuen Blockbildung nach dem Muster des Kalten Krieges, in der Russland mit China um Einfluss auf sogenannte „Schurkenstaaten“ Asiens konkurriert.
Russland und Nordkorea haben ihre militärische Kooperation seit Beginn des Ukrainekriegs im Februar 2022 erheblich vertieft – gekrönt von einem gegenseitigen Verteidigungspakt im Jahr 2024. Dieser verpflichtet beide Staaten zur sofortigen militärischen Unterstützung im Falle eines Angriffs auf einen der Vertragspartner.
Warum braucht Russland nordkoreanische Soldaten?
Nordkorea soll Ende 2024 rund 11.000 Soldaten in die Region Kursk entsandt haben. Laut südkoreanischen Militärquellen kamen im Januar und Februar 2025 weitere 3.000 hinzu. Westliche und südkoreanische Geheimdienste vermuten, dass diese Verstärkung unter anderem auf hohe Verluste zurückzuführen ist – Schätzungen zufolge wurden etwa 4.000 nordkoreanische Soldaten getötet oder verwundet. Diese Zahlen belegen die ernsthafte Personalknappheit in Russlands Streitkräften.
Der öffentliche Widerstand gegen die Einberufung bleibt in Russland hoch. Die Mobilisierung von 300.000 Reservisten im Jahr 2022 löste eine massive Flucht russischer Staatsbürger ins Ausland aus. Angesichts wachsender Schwierigkeiten bei der Rekrutierung im Inland hat der Kreml begonnen, ausländische Kämpfer durch Versprechen auf Staatsbürgerschaft zu ködern und zugleich Deserteure hart zu bestrafen.
Laut dem Militärexperten Gustav Gressel sind die russischen Personalreserven ausgedünnt – auch an den Grenzen zur NATO. Viele Offiziere und Fachkräfte wurden an die Front verlegt. Russland braucht nach Schätzungen rund 30.000 neue Soldaten zur Kompensation der Verluste. Selbst großzügige Prämien und Gehaltserhöhungen haben die Zahl der Freiwilligen kaum gesteigert.
Vor diesem Hintergrund sei der Rückgriff auf nordkoreanische „Gasttruppen“ nur logisch, so Gressel. Berichten zufolge gehören auch Eliteeinheiten aus Pjöngjang zu denjenigen, die in Russland ausgebildet werden.
Wie unterstützen nordkoreanische Truppen das russische Militär?
Militärexperten unterscheiden drei Einsatzarten für nordkoreanische Einheiten:
- Ingenieur- und Baukorps: Diese Truppen sind für Infrastrukturarbeiten im Hinterland nützlich – etwa beim Bau von Bunkern, Brücken oder Versorgungswegen. Sprachliche Homogenität und Erfahrung mit harten Bedingungen sprechen für ihren Einsatz.
- Artillerieeinheiten: Nordkorea verfügt über mehr als 20.000 Artilleriesysteme. Falls sie mit eigenem Gerät und Munition operieren, könnten sie die stark belasteten russischen Artilleriereserven entlasten.
- Infanterieunterstützung: Da Nordkoreas Soldaten seit dem Koreakrieg keine Kampferfahrung haben, eignen sie sich eher für defensive Aufgaben, wodurch erfahrene russische Truppen für Offensiven frei würden.
Berichte deuten zudem auf die Präsenz nordkoreanischer Spezialeinheiten hin, darunter General Kim Yong-bok, der Chef der nordkoreanischen Spezialkräfte. Ukrainische Quellen berichten, dass diese Einheiten der russischen 810. Marineinfanteriebrigade in Kursk zugewiesen seien und Schulungen in Drohnenkrieg und Aufklärung durchlaufen.
Doch trotz dieser potenziellen Vorteile bestehen erhebliche Herausforderungen: mangelnde gemeinsame Operationspraxis, Sprachbarrieren und die hohe technologische Komplexität des Krieges – insbesondere beim Einsatz von Drohnen, elektronischer Kriegsführung und moderner Artillerie – könnten die Einsatzfähigkeit der nordkoreanischen Truppen beeinträchtigen.
Warum entsendet Nordkorea Truppen?
Nordkorea verfügt über große Kontingente wehrpflichtiger Soldaten und leidet gleichzeitig unter massiven wirtschaftlichen Engpässen infolge westlicher Sanktionen. Der Truppeneinsatz dient somit sowohl finanziellen als auch strategischen Zielen. Allein aus Waffenlieferungen an Russland erzielte Nordkorea Einnahmen zwischen zwei und fünf Milliarden Dollar. Bei einer Jahresvergütung von 2.500 Dollar pro Soldat könnten 10.000 entsandte Truppen jährlich rund 250 Millionen Dollar einbringen.
Darüber hinaus verfolgt Pjöngjang mehrere strategische Interessen:
- Zugang zu russischer Militärtechnologie, etwa in den Bereichen Raketen, Raumfahrt und Nukleartechnik.
- Kampferfahrung für eine weitgehend unerprobte Armee – besonders wertvoll mit Blick auf den ungelösten Konflikt mit Südkorea.
- Vertiefung des strategischen Bündnisses mit Russland, um sich als zentraler Akteur im antiwestlichen Block zu positionieren.
Geopolitische Folgen und internationale Reaktionen
Unter der früheren Biden-Regierung hätte ein direkter militärischer Einsatz Nordkoreas vermutlich zu klaren US-Gegenmaßnahmen geführt. Doch unter Präsident Donald Trump verfolgt Washington eine Politik der Deeskalation gegenüber Putin – mit dem Ziel, Russland für einen möglichen Konflikt mit China zu neutralisieren.
Russlands Allianz mit Nordkorea – und mögliche militärische Hilfe aus China – zeigen jedoch, dass Moskau nicht bereit ist, strategische Partner wie Pjöngjang, Peking oder Teheran zu opfern. Dies könnte Washingtons Kurs nachhaltig verändern.
Während Europa noch abwartet und auf amerikanische Führung setzt, könnte die wachsende Komplexität des Kriegs den Westen zu einer deutlichen Aufstockung der Militärhilfe für die Ukraine zwingen – insbesondere angesichts eines erstarkenden gegnerischen Bündnisses.
Südkorea hat den russischen Botschafter einbestellt und den sofortigen Abzug nordkoreanischer Truppen gefordert. Die Regierung in Seoul kündigte eine koordinierte internationale Antwort an und warnte vor einer wachsenden Bedrohung für die regionale Sicherheit.
Einige Analysten befürchten, dass Nordkoreas Beteiligung in der Ukraine zu einem aggressiveren Auftreten gegenüber Südkorea führen könnte – möglicherweise mit russischer Rückendeckung. Der Austausch von Technologien in den Bereichen Raketen, Raumfahrt und Überwachung steht dabei besonders im Fokus. Südkorea, einer der größten Rüstungsproduzenten der Welt, könnte im Gegenzug eine zentrale Rolle bei der Versorgung der Ukraine übernehmen – im Gegensatz zu Westeuropa, das seine Munitionsvorräte bereits weitgehend erschöpft hat.
Laut Gressel verfügt Südkorea über mehr als 11.000 Artilleriesysteme und rund 30 Millionen Artilleriegranaten – genug, um das Kriegsgeschehen massiv zu beeinflussen.
Die Position Chinas bleibt ein Unsicherheitsfaktor. Analysten vermuten, dass Peking das wachsende russisch-nordkoreanische Bündnis als Bedrohung seiner eigenen Kontrolle über Pjöngjang ansehen könnte. Zwar gibt sich China offiziell neutral im Ukrainekrieg und legte 2023 einen Friedensplan vor, doch die neue Achse zwischen Moskau und Pjöngjang könnte Pekings regionale Strategie gefährden.
Forscherin Maria Snegovaya vom Center for Strategic and International Studies argumentiert, dass es bei Nordkoreas Einsatz nicht nur um russische Schwäche geht, sondern um die Formierung einer „Störachse“ zwischen Iran, Russland, China und Nordkorea. In diesem Sinne wird die Ukraine zum Trainingsfeld für mögliche künftige Konflikte in Ostasien.
Fazit
- Der offizielle Einsatz nordkoreanischer Truppen in der Ukraine internationalisiert den Krieg und verschärft die geopolitische Dynamik.
- Russlands Rückgriff auf ausländische Soldaten offenbart tiefgreifende Personalprobleme und eine zunehmende Kriegsmüdigkeit in der eigenen Bevölkerung.
- Nordkorea profitiert materiell und strategisch – durch Geld, Kampferfahrung und Zugang zu russischem Hightech-Know-how.
- Die neue Allianz zwischen Russland, Nordkorea (und womöglich China und Iran) zwingt den Westen, seine Ukraine-Strategie grundlegend zu überdenken.
- Trotz der Masse ist die tatsächliche Wirkung nordkoreanischer Truppen begrenzt – fehlende Erfahrung, Kommunikationsprobleme und hohe Verluste könnten den militärischen Nutzen einschränken.