Bereits kurz nach dem Besuch des österreichischen Kanzlers Nehammer beim Despoten Putin in Moskau wurde von ihm die Türkei in ein positives Licht gerückt: Er würdigte das „geostrategische Gewicht der Türkei“ unmittelbar nach der Teestunde im Kreml, mit Erdoğan hatte er zweimal, vor und nach seinem Gespräch mit Putin, telefoniert. Und dies nach einer doch sehr langen Zeitspanne, bei der die Beziehungen beider Länder eher als frostig bezeichnet werden konnten.
Vorwürfe der Spionage durch die türkische Religionsbehörde machten einerseits in Wien die Runde, eine angebliche „Anti-Türkei-Besessenheit“ Österreichs war in Ankara das Gesprächsthema. Doch Russlands Ukrainekrieg scheint auch hier die Vorzeichen geändert zu haben, zumindest für den Moment. Mehrfach schloss sich der österreichische Bundeskanzler Karl Nehammer mit dem türkischen Präsidenten kurz, um mögliche Vermittlungsbemühungen zu koordinieren, und lobte auffällig oft den Machthaber in Ankara. Nun waren gleich zwei Regierungsmitglieder aus Wien in die Türkei gereist, Außenminister Alexander Schallenberg und Innenminister Gerhard Karner, um mit ihrem jeweiligen Gegenüber zu sprechen, mit Cavusoglu und Soylu. Die Regierungschefs Österreichs und der Türkei berieten sich am Rande des NATO-Gipfels in Madrid.
Obwohl nicht mehr der Populist Sebastian Kurz die Regierungsgeschäfte in der Alpenrepublik führt, spielt das Thema Migration weiterhin eine tragende Rolle. Innenminister Karner erklärte: „Den Kampf gegen Schlepperei und illegale Migration kann kein Land für sich allein führen.“ Schallenberg hielt fest: „Der Migrationsdruck auf die europäischen Außengrenzen hat zuletzt massiv zugenommen. Die Türkei ist für Europa ein zentraler Partner, wenn es darum geht, illegale Migration zu verhindern.“ Nehammer bezog sich bei seiner Charme-Offensive vor allem auf die wachsende Bedeutung der Türkei als mögliches Transitland für Gas aus dem Kaspischen Meer.
Aber es sind eine ganze Reihe von Gründen – unter anderem das europäische Flüchtlingsmanagement –, die Erdoğan seit dem Beginn des Kriegs in der Ukraine ein neues Ansehen auf der internationalen Bühne verliehen haben. Und genießt dieses neue Vertrauen in vollen Zügen.
Dass Erdoğan in der NATO das Veto gegen Finnland und Schweden fallenließ, wird ihm auch in Washington und Berlin gedankt. Auch aus Paris kommen anstelle von Bashing neuerdings Lobeshymnen, Israel und die Araber normalisieren ihre Beziehungen mit Ankara. Die Österreicher liegen also voll im Trend. Das nennt man Realpolitik.
„Wir haben mit Österreich kein Problem“, sagte der türkische Außenminister nach dem Treffen mit seinem „Freund Alexander“. Sein österreichischer Kollege lobte, die Frequenz der bilateralen Gespräche könne sich „sehen lassen“. Und dies war ja nur der krönende Abschluss der Besuche aus Wien: Bereits vorher gingen der österreichische Parlamentspräsident sowie der Wiener Bürgermeister über den roten Teppich am Bosporus, zum „Shake Hands“ mit dem Sultan.
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