„Wir unterhalten Kontakte zu allen politischen Kräften, die sich jetzt in Syrien befinden“, sagte die Sprecherin des Außenministeriums nach der Machtübernahme der Gegner des Assad-Regimes. Noch am Vorabend der Flucht des Diktators in Damaskus hatte Außenminister Sergej Lawrow in alter Rhetorik geäußert, man dürfe es „Terroristen nicht erlauben, Land in Syrien zu erobern“. Aber schon zwei Tage später sprach Putins Personal von einer „Opposition“, an deren robusten Charakter allenfalls der Zusatz „bewaffnet“ erinnert: russische Zeitenwende. Dahinter steht allem voran das Interesse Russlands an seinem Flottenstützpunkt in Tartus und an seiner Luftwaffenbasis Hmeimim, die beide in der Provinz Latakia an der Mittelmeerküste liegen. Nach der „Stabilisierung der Situation“ werde Russland mit „der neuen Regierung“ über die Fortdauer der Truppenpräsenz sprechen, sagt Putins Sprecher. „Kontakte“ unterhalte man bereits, und die Sicherheit dieser Basen sowie der Botschaft in Damaskus habe Priorität, fügt Dmitrij Peskow hinzu.
Der Kreml hat auch verbreitet, dass die neuen Machthaber diese Sicherheit garantiert hätten. Doch Hmeimim war 2015 aufgebaut worden, um die Leute zu besiegen, die jetzt die Macht in Damaskus übernommen haben. Vor Assads Sturz hat die russische Luftwaffe von dort aus noch versucht, den Vormarsch der Aufständischen zu bremsen, und regelmäßig mitgeteilt, „Terroristen“ in jeweils dreistelliger Zahl „vernichtet“ zu haben. Die Frage der russischen Militärbasen werde „unter dem Gesichtspunkt der Vorteile und Interessen des syrischen Volkes und auch des Interesses Russlands entschieden“. Was das heißt, ist Verhandlungssache.
Putin braucht die Basen unbedingt, um Macht in den Nahen Osten und in den Mittelmeerraum zu projizieren, um die Südostflanke der NATO zu bedrohen, und für die russischen Aktivitäten in Afrika, die wiederum eine zentrale Rolle in seiner Inszenierung als Anführer eines „globalen Südens“ spielen. Ohne Hmeimim und Tartus könnte es für das Afrikakorps, den vom russischen Verteidigungsministerium kontrollierten Nachfolger der Wagner-Söldnergruppe, eng werden. Die Söldner bleiben auch nach dem Aufstand und Tod des früheren Wagner-Anführers Jewgenij Prigoschin 2023 die Säule von Russlands Afrika-Engagement. Alle Kämpfer, Ausbilder, Munition, das gesamte militärische und sonstige Gerät gelangen über die Stützpunkte in Syrien zu den Einsatzorten: Direkt von Russland nach West- und Zentralafrika zu fliegen ist wegen der weiten Strecke nicht möglich. Bisher macht ein russisches Transportflugzeug daher einen Tankstopp in Hmeimim und fliegt weiter nach Ostlibyen. Dann klappere die Maschine alle Söldnerstandorte ab, von Bamako in Mali über Ouagadougou in Burkina Faso bis Bangui in der Zentralafrikanischen Republik (ZAR) und nach Sudan. In Tartus landen per Schiff weitere Lieferungen, die auf die Flugzeuge verladen werden.
Zunächst waren die Söldner in Libyen, Sudan und der ZAR im Einsatz. Einen Schub brachte dann die Putsch-Serie in den drei Sahel-Staaten, in Mali, Burkina Faso und Niger, wo die neuen Militärregierungen Partner suchten und sich von der früheren Kolonialmacht Frankreich abwandten. Nach dem erzwungenen Abzug der französischen Soldaten und der UN-Friedensmission MINUSMA gaben die Vereinigten Staaten im August ihre letzte Militärbasis in Niger auf. „Die afrikanischen Länder haben sich verkalkuliert, sie haben Russland als sehr stabilen Partner betrachtet, aber vermutlich nicht die hohe Abhängigkeit von Syrien bedacht“, sagt ein deutscher Experte. So habe nicht nur Moskau ein Problem. Denn Alternativen zu den Stützpunkten hat Moskau faktisch nicht. Vereinbarungen mit dem ostlibyschen Machthaber Chalifa Haftar haben sich als schwierig erwiesen. Zudem ist auch diese Flugstrecke weit, sodass Transportflugzeuge aus Russland leer dorthin fliegen müssten. In Sudan, einem weiteren potentiellen Ausweichort, herrscht Krieg. In allen Szenarien wären die Kosten weitaus höher als heute. Fraglich wäre, ob die afrikanischen Militärregierungen die Söldner noch bezahlen könnten. Wie sehr sie unter Druck stehen, zeigt sich besonders in Mali, wo die Bemühungen, höhere Einnahmen aus dem Goldgeschäft zu erzielen, jüngst zu Verhaftungen von Managern westlicher Förderer und einem Haftbefehl gegen den Vorstandschef eines kanadischen Konzerns führten.
Für Putin gilt es jetzt auch, Brandmauern zum Verlierer zu ziehen. Zwar ist eine Fehleranalyse in Russland für ihn nicht vorgesehen. Aber allzu klar ist die Anbindung an Assad, zu offensichtlich die Überlastung seines Militärs in der Ukraine. „Wenn die Terroristen noch einmal den Kopf erheben, dann werden wir ihnen Schläge versetzen, die sie noch nie gesehen haben“, hatte Putin Ende 2017 in Hmeimim gesagt. Aber vor Assads Sturz wurde geschätzt, dass die Zahl der Kampfflugzeuge und -hubschrauber in Hmeimim von 80 auf 15 bis 20 zurückgegangen sei. Putins Agenten mussten Assad auf die Basis bringen und von dort ausfliegen, berichtete Bloomberg, und dem Präsidenten erklären, warum sie die Gefahr nicht eher bemerkt hätten. Russische Kriegsblogger klagen auf Telegram, dass in der Ukraine gescheiterte Generäle nach Syrien geschickt wurden. Peskow wurde daraufhin gefragt, ob die „Spezialoperation“ gegen die Ukraine Russlands Position im Nahen Osten geschwächt habe. Man habe Syrien „seinerzeit geholfen, mit Terroristen fertig zu werden“, und die „Mission erfüllt“, sagte Peskow. Danach habe „Assads Führung“ das Land „leider“ in die heutige Lage gebracht.