Von Ahmed Haridi, Kairo
Der „Public Investment Fund“ (PIF), der staatliche Vermögensfonds Saudi-Arabiens, durchläuft derzeit eine grundlegende strategische Neuausrichtung – ein Kraftakt, der hinter den Kulissen der Hauptstadt Riad längst begonnen hat. Die Rede ist von einer umfassenden Neukalibrierung der Investitionen, die in den vergangenen Monaten angestoßen wurde. Im Mittelpunkt steht dabei nicht weniger als das wirtschaftspolitische Herzstück des Landes: die „Vision 2030“. Mit diesem Reformprogramm will Kronprinz Muhammad Bin Salman die saudische Volkswirtschaft modernisieren und von den Öl-Einnahmen unabhängig machen – ein Projekt, das maßgeblich über die Stabilität des Königreichs entscheidet.
Der PIF ist das zentrale Instrument dieser Transformation. Mit offiziell rund 925 Milliarden Dollar an verwaltetem Vermögen zählt er zu den größten staatlichen Fonds der Welt. Über direkte und indirekte Beteiligungen hat er mehr als eine Million Arbeitsplätze geschaffen – im Inland wie im Ausland. Seine Investitionen reichen von Sport und Unterhaltung über Tourismus und Infrastruktur bis hin zu Zukunftstechnologien. Zu den prominentesten Vorhaben gehört die geplante Megacity Neom: Ein futuristisches 500-Milliarden-Dollar-Projekt in der Wüste, das als Aushängeschild des wirtschaftlichen Umbaus gilt.
Die Investitionsstrategie des PIF hat bislang zwei Phasen durchlaufen. Die erste, zwischen 2016 und 2022, war geprägt vom Aufbau symbolträchtiger Großprojekte – mit dem Ziel, ein modernes Image des Landes zu schaffen und ausländisches Kapital anzuziehen. Saudi-Arabien sollte als dynamischer Wirtschaftsstandort sichtbar werden, offen für Innovation und Wandel. Das Kalkül ging zunächst auf: „Vision 2030“ etablierte sich als Marke, auch intern wuchs der Stolz auf das neue Selbstbild.
Doch nun ist Saudi-Arabien in der zweiten, weitaus ernüchternderen Phase angekommen. Die ambitionierten Pläne stoßen auf die harte Realität der Märkte. Der Ölpreis – wichtigste Einnahmequelle des Landes – ist deutlich gefallen und liegt mit rund 60 Dollar pro Barrel weit unter dem Niveau, das für den bisherigen Investitionskurs nötig wäre. Ökonomen schätzen, dass ein Preis von rund 100 Dollar notwendig wäre, um das Tempo der wirtschaftlichen Diversifizierung aufrechtzuerhalten. Tatsächlich ist der PIF gezwungen, Investitionen deutlich zurückzufahren – ein Trend, den Branchendienste bereits für das laufende Jahr melden.
Hinzu kommt, dass der Fonds bislang häufig nach dem Gießkannenprinzip investierte. In der Anfangszeit wurde Saudi-Arabien zum Paradies für internationale Beratungsfirmen, die millionenschwere Verträge abschlossen. Der ermordete Journalist und Regimekritiker Jamal Khashoggi sprach damals sarkastisch von einem „Zeitalter der Berater“. Diese Zeiten scheinen vorbei. Angesichts wachsender Haushaltszwänge muss der PIF seine Mittel nun gezielter, strategischer und vor allem nachhaltiger einsetzen.
Was bleibt, ist die Erkenntnis, dass Reformrhetorik allein keine wirtschaftliche Transformation trägt. Der Umbau Saudi-Arabiens verlangt nicht nur Visionen – sondern auch finanzielle Disziplin, politische Stabilität und einen langen Atem.
Die Anpassung besteht laut Angaben mehrerer Experten und Insider vor allem darin, die Investitionen in die Leuchtturmprojekte zurückzufahren, die auch weniger ausländische Investoren angelockt haben, als erwartet worden war. Deren Umsetzung wird verlangsamt, wo es möglich ist. Schon im vergangenen Jahr berichtete ein Wirtschaftsberater auf einer Investorenkonferenz, auch im Falle des Prestigeprojektes Neom habe die Führung die Bremse gezogen. In manchen Fällen ist das unmöglich, weil es Fristen gibt: die Infrastruktur für die Asiatischen Winterspiele 2029, die Expo 2030 und die Fußballweltmeisterschaft 2034. Dafür müssen unter anderem Stadien gebaut werden und ein Skigebiet aus Kunstschnee. Grundsätzlich soll der PIF nun in andere Felder investieren, die der Führung in Riad derzeit wichtiger erscheinen: Infrastruktur, bezahlbarer Wohnraum, Bildung, Energie, Schaffung neuer Wirtschaftszweige im Land. Anders als Golfstaaten wie Katar oder die Vereinigten Arabischen Emirate hat Saudi-Arabien eine große Bevölkerung, die zwar einen größeren Binnenmarkt bringt, die aber nicht durchgehend wohlhabend ist. Auch auf deren Bedürfnisse muss der PIF seine Investitionen einstellen. Die neue Metro in Riad wird zum Beispiel von den Einwohnern dankbar angenommen. „Nicht alle Saudis haben am Ende des Tages auch wirklich das Geld, die neuen Unterhaltungsangebote regelmäßig zu nutzen. Da gibt es einen Sättigungsprozess“, sagt Sebastian Sons. Das sei auch ein Grund dafür, dass der PIF Felder wie den E-Sport und Gaming erschließt.
Und der Staatsfonds hat im Zuge des Evaluierungsprozesses auch die Qualitätskontrolle der Investitionen verstärkt. „Der PIF achtet jetzt tatsächlich sehr viel stärker darauf, dass seine Projekte wirtschaftlich überlebensfähig sind und die Wirtschaft ankurbeln“, sagt ein Insider mit Kontakten in die saudische Führung. Diese Bemühungen zeigten auch schon Erfolge. „Sie sind gut darin, aber sie könnten es natürlich noch besser machen.“ An fähigem Personal mangelt es nicht. Die saudische Führung sorgt dafür, dass in den Chefetagen wichtiger Unternehmen fähige Spitzenkräfte sitzen, häufig aus dem Ausland. Zugleich sichert sie sich Einfluss, etwa durch Mitglieder der Königsfamilie oder Regierungsmitarbeiter in den Vorständen und Aufsichtsräten.
PIF-Gouverneur Yasir al-Rumayyan ist nicht nur einer der einflussreichsten Männer in Saudi-Arabien. Er gilt auch als erfahrener, pragmatischer, intelligenter und scharfsinniger Manager mit exzellenten Kontakten in die Finanzwelt. Der Banker, der einen Abschluss von der Harvard Business School hat, wird als effektiver, weltreisender Wirtschaftsdiplomat des Königreiches beschrieben. Rumayyan ist in der Führung des saudischen Ölkonzerns Aramco vertreten sowie in einigen anderen Führungsetagen weiterer wichtiger Unternehmen, in die der PIF investiert hat. Rumayyan ist außerdem Vorsitzender des britischen Fußballvereins Newcastle United. Den Einstieg des PIF in den Klub hatte er maßgeblich orchestriert. Überhaupt hat er einen maßgeblichen Fußabdruck in den PIF-Sportinvestitionen, einem wichtigen Feld der Aktivitäten des Staatsfonds.
Yasir al-Rumayyan gilt als das Gesicht des saudischen Staatsfonds PIF – und als einer der engsten Vertrauten von Kronprinz Muhammad Bin Salman. Dabei gehört der PIF-Chef selbst nicht zur Königsfamilie. Dass er dennoch eine Schlüsselrolle im Machtapparat des Königreichs spielt, liegt vor allem am uneingeschränkten Vertrauen, das ihm der Kronprinz entgegenbringt. Denn der faktische Herrscher Saudi-Arabiens hat die Investitionspolitik des Landes längst zur Chefsache gemacht: Der PIF ist zentralisiert, strategisch auf Linie gebracht – und steht unter seinem direkten Vorsitz. Auch bei den großen Finanzentscheidungen gilt: Das letzte Wort hat Bin Salman.
Ob sein autoritärer Führungsstil jedoch förderlich ist, um eine offene, innovationsgetriebene Volkswirtschaft zu schaffen, sehen viele Fachleute kritisch. Eine dynamische Wirtschaft, so das Argument, brauche Freiräume – für kritisches Denken, unabhängige Meinungen, auch für kontroverse Debatten. Doch gerade hier zeigt sich das System Bin Salman besonders empfindlich. Wer in der öffentlichen Diskussion Zweifel am Erfolg der „Vision 2030“ anmeldet, riskiert schnell Repressionen. Wirtschaftsberichterstattung, die Missstände benennt, wird häufig als illoyal gewertet – auch das ein Ausdruck der politischen Kultur.
Gut vernetzte Beobachter in Riad berichten zudem von einer eklatanten Kommunikationsschwäche der Regierung: Die Führung tue sich schwer damit, den Sparkurs oder die notwendigen Kurskorrekturen im Reformprozess transparent zu erklären. Gerade in einer Phase, in der ambitionierte Großprojekte auf den Prüfstand geraten und Investitionen neu priorisiert werden müssen, mangele es an offener Auseinandersetzung – nach innen wie nach außen.
Dabei ist Muhammad Bin Salman offenbar nicht blind für die Grenzen autoritärer Führung. Insider berichten, er wisse sehr wohl, dass eingeschüchterte Mitarbeiter und gefügige Ausschüsse langfristig eher schaden als nutzen. In besonders heiklen wirtschaftlichen Fragen lasse er deshalb gelegentlich Raum für interne Diskussion – etwa indem zentrale Komitees zunächst ohne seine direkte Beteiligung tagen. Doch wie weit diese Spielräume tatsächlich reichen, bleibt offen. Letztlich bleibt das System stark auf eine Person zugeschnitten – und das ist zugleich seine größte Stärke wie seine größte Schwäche.