Von Ahmad Al-Remeh
Menschenrechtsberichte dokumentieren Hunderte Fälle sexualisierter Gewalt gegen Frauen in syrischen Gefängnissen des Assad-Regimes. Nach Angaben des Syrian Network for Human Rights wurden zwischen März 2011 und April 2013 über 5.400 Frauen verhaftet, darunter rund 1.200 Studentinnen. Die Verhaftungen dauerten im Verlauf der Revolution an. Die meisten Frauen wurden Opfer verschiedenster Formen von Missbrauch. So auch „Sahar“, eine Frau aus Damaskus. Ihr Mann hatte die Armee verlassen und wurde später getötet. Sahar versuchte mit ihren vier Kindern zu fliehen, wurde jedoch an einem zentralen Busbahnhof festgenommen.
Das Martyrium einer Gefangenen
Sahar wurde gefoltert: mit Elektroschocks, durch Aufhängen und psychische Misshandlung. Sie erlebte, wie unzählige andere Inhaftierte – Männer wie Frauen – misshandelt wurden, einige starben vor ihren Augen. Besonders traumatisch waren die Vergewaltigungen, die sie mitansehen musste – und die sie selbst erlebte. Sie berichtet von Gruppenvergewaltigungen, die systematisch und gezielt zur Demütigung eingesetzt wurden. Oft fanden die Übergriffe in Anwesenheit anderer statt, um den psychischen Schaden zu maximieren. Sahar wurde auch Zeugin der Vergewaltigung männlicher Häftlinge.
Ein besonders quälendes Bild blieb ihr: Ein junges Mädchen namens Lama, gerade einmal 15 Jahre alt, starb während einer Vergewaltigung. Sahars Körper trägt bis heute die Spuren der Gewalt – Verbrennungen, Wunden, blaue Flecken. Sie wurde schließlich im Rahmen eines Gefangenenaustauschs freigelassen – in dem Glauben, das Schlimmste liege hinter ihr. Doch das eigentliche Grauen begann nach der Freilassung: Ihre Familie verstieß sie und machte sie für das Erlebte verantwortlich. „Dieses Schicksal ist nicht nur meins“, sagt sie, „es ist das Schicksal Hunderter Frauen, die einen unvorstellbaren Preis gezahlt haben.“
Gesellschaftliche Bestrafung von Überlebenden
Für viele Frauen ist die Zeit nach der Haft traumatischer als die Haft selbst. Statt Mitgefühl erfahren sie gesellschaftliche Ächtung. In einer Kultur, die Vergewaltigung als Schande für die Ehre sieht, werden Überlebende häufig so behandelt, als hätten sie die Gewalt gewollt. Familien lehnen sie ab, Gemeinschaften stempeln sie als moralisch befleckt ab.
Frauen, die durch Gefangenenaustausch oder Amnestien freikommen, berichten, dass sie lieber im Gefängnis geblieben wären, als der Verachtung ihrer Umgebung ausgesetzt zu sein. Die Überlebende „Hanaa“ erklärt, dass die Angst vor gesellschaftlicher Ablehnung viele Betroffene zum Schweigen zwingt – und so ihr Leiden verlängert.
Die Psychologin Marah Al-Zeer beschreibt die schweren psychischen Langzeitfolgen, unter denen viele Frauen leiden. Sie betont, dass der fehlende Rückhalt durch Familie und Gesellschaft den Heilungsprozess erheblich erschwert. Al-Zeer spricht von einem gefährlichen Übergang zwischen Opfer- und Täterdenken: Eine Gesellschaft, die die Opfer beschuldigt und die Täter ignoriert, macht sich mitschuldig.
Eine Studie der Hilfsorganisation Starting Point zeigt:
- 62 % der Frauen verloren nach der Haft ihre Ehemänner
- 18 % verloren enge Freundschaften
- 12 % wurden von ihren Verlobten verlassen
- 6 % wurden von ihren Familien verstoßen
- Eine Frau verlor ihren Job, weil ein Kollege glaubte, sie habe ihn denunziert
Ignoranz schlimmer als Gefangenschaft
Obwohl Frauen eine zentrale Rolle in der Revolution spielten, halten sich patriarchale Denkmuster hartnäckig: Frauen gelten als schwach und schuldig. Während männliche Ex-Häftlinge oft als Helden empfangen werden, trifft ihre weiblichen Leidensgenossinnen soziale Ächtung. Eine Frau aus Homs berichtete, dass sie von ihrer Familie verstoßen wurde – ihr Cousin, der zur gleichen Zeit inhaftiert war, wurde mit Blumen empfangen.
Einige Frauen wurden direkt nach ihrer Freilassung geschieden – ohne ein Wort, ohne Verständnis. Der Kontrast ist brutal.
Der Kampf um Rückkehr ins Leben
Der Wiederaufbau eines normalen Lebens ist für viele ehemalige Gefangene kaum möglich. Viele ziehen in andere Städte, um der Stigmatisierung zu entkommen. Laut der Starting Point-Studie:
- 80 % der von sexueller Gewalt betroffenen Frauen zogen sich aus dem sozialen Leben zurück
- 74 % der nicht-vergewaltigten Frauen taten dasselbe
- 74 % der Vergewaltigungsopfer fürchteten um ihre Zukunft (im Vergleich zu 48 % der übrigen Frauen)
- 63 % litten unter Stimmungsschwankungen
- 51 % der Vergewaltigungsopfer wurden selbstständiger (im Vergleich zu 56 % der anderen)
- 41 % entwickelten Depressionen (gegenüber 50 % der anderen)
- 48 % verloren das Vertrauen in ihre Mitmenschen (vs. 35 %)
- Nur 18 % der vergewaltigten Frauen wurden offener (vs. 37 %)
- Nur 15 % fühlten sich gesellschaftlich gleichwertig (vs. 22 %)
Diese Zahlen machen deutlich, wie tief die psychischen und sozialen Wunden reichen – und wie wenig Unterstützung es gibt.
Fazit
Das Leid syrischer Frauen in den Gefängnissen des Assad-Regimes ist eine doppelte Tragödie: Erst Opfer staatlicher Gewalt, dann gebrandmarkt und ausgestoßen von ihrer eigenen Gesellschaft.
Es ist dringend notwendig, zivilgesellschaftliche Initiativen zu stärken, die durch Aufklärungskampagnen das Bewusstsein verändern. Die Öffentlichkeit muss begreifen, dass diese Frauen keine Schande tragen – sondern eine Überlebensgeschichte. Sie verdienen gesellschaftliche Wiedereingliederung mit Würde, psychologische Hilfe, Zugang zum Arbeitsmarkt und rechtlichen Schutz.
Das ist nicht nur eine Frage der Gerechtigkeit. Es ist eine Voraussetzung für den gesellschaftlichen Neuanfang. Bleibt diese Aufarbeitung aus, bleibt auch die Zukunft dieser Frauen so dunkel wie ihre Vergangenheit.