Im Jahr 2023 wollte die Internationale Föderation der Rotkreuz- und Rothalbmond-Gesellschaften wissen, was eigentlich in dem großen Feldkrankenhaus in Amdjarass im Nordosten Tschads vor sich geht, Gerüchte machten die Runde. Der Rote Halbmond der Emirate hatte 2023 begonnen, auf dem Flughafen von Amdjarass ein Lazarett zu bauen.
Mehr als 30.000 Patienten seien seitdem dort behandelt worden, sagen die Emirate. Die Vereinten Nationen und Menschenrechtsgruppen sehen in dem Ort aber auch einen Umschlagplatz für Drohnen und andere Kriegswaffen, die mit Frachtflugzeugen aus den Emiraten ankommen und dann in den Sudan geschickt werden, wo seit zwei Jahren Krieg herrscht. Als die Internationale Föderation der Rotkreuz- und Rothalbmond-Gesellschaften die Berichte las, wurde 2023 eine Mission nach Amdjarass geschickt, die nachschauen sollte, was dort passiert. Sie bekam keinen Zugang, auch nicht, als sie es 2024 noch einmal versuchte.
Der Sudan verklagt nun die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) und wirft ihnen vor, die Miliz „Rapid Support Forces“ (RSF) im sudanesischen Bürgerkrieg zu unterstützen. „Die Vereinigten Arabischen Emirate schüren die Rebellion und unterstützen die Milizen, die in West-Darfur einen Völkermord begangen haben“, heißt es in der Klageschrift.
Für den 10. April war die erste Anhörung in diesem Fall in Den Haag angesetzt. Der Sudan will nun erreichen, dass das Gericht zunächst „sofortige Maßnahmen“ anordnet, damit die Emirate ihre mutmaßliche Mithilfe beim Genozid in Darfur stoppen.
Im Mittelpunkt steht der Vorwurf, die RSF-Miliz habe, unterstützt von den Vereinigten Arabischen Emiraten, einen Völkermord an den Masalit verübt, einer nicht-arabischen Ethnie in der Region Darfur. Wie vor allem Recherchen der Agentur Reuters und eine Untersuchung der Organisation Human Rights Watch ergaben, attackierten die RSF und verbündete Kämpfer im Jahr 2023 systematisch Angehörige der Masalit, sie verfolgten und vertrieben demnach Zehntausende wehrlose Menschen, richteten Massaker an.
Der IGH ist das höchste Gericht der Vereinten Nationen, das Streitigkeiten zwischen Staaten verhandelt. Er besitzt aber keine Mittel, um seine Entscheidungen selbst durchzusetzen. Allerdings wäre der Schaden dennoch groß für die Emirate, wenn sie durch das Verfahren als Unterstützer eines Genozids gebrandmarkt würden.
„Die Priorität des Sudan sollte es sein, das Feuer in diesem absurden und zerstörerischen Krieg einzustellen und die massive humanitäre Katastrophe anzugehen“, sagte Anwar Gargash, der Außenminister der Emirate, gereizt. Er bestreitet kategorisch jede Waffenhilfe für die RSF, die Emirate würden ausschließlich humanitäre Ziele im Sudan verfolgen. Auch der Rote Halbmond der Emirate spricht von einer rein humanitären Operation.
Zweifel an solchen Darstellungen haben sich jedoch stark verdichtet. Eine Recherche der New York Times vom 21. September letzten Jahres deutet auf emiratische Waffenhilfe via Tschad hin. Human Rights Watch hat serbische Raketen ausgemacht, die von einer nicht identifizierten Drohne abgefeuert wurden und ursprünglich an die Emirate verkauft worden sein sollen. Die Vereinten Nationen berichteten bereits Ende des Jahres 2023, dass mehrmals pro Woche Waffen und Munition in Flugzeugen aus den Emiraten auf dem Flughafen Amdjarass landeten. Amnesty International spricht von bewaffneten Mannschaftstransportwagen aus emiratischer Produktion, die angeblich im Sudan im Einsatz sind. Alles mutmaßliche Verstöße gegen das Waffenembargo, das der UN-Sicherheitsrat für die Region Darfur verhängt hat. All dies wäre schwer möglich ohne engere Beziehungen der Emirate zum westlichen Nachbarland des Sudan: Tschad.
Von dort aus gelangen mutmaßlich viele Waffen in die Kampfgebiete Darfurs. Ende März drohte General Yasir al-Atta von den Sudan Armed Forces (SAF), dass seine Truppe die tschadischen Flugplätze Amdjarass und N’Djamena bombardieren könnte, er nannte sie „legitime Ziele“, um Nachschubwege der RSF zu treffen. Damit drohte die Armee des Sudan unverhohlen dem tschadischen Machthaber Mahamat Déby, von dem es heißt, er habe sich für seine Schmuggel- und Vermittlerdienste kaufen lassen. Débys Regime wird von der sudanesischen Armee vorgeworfen, als Bindeglied zwischen den Emiraten und der RSF zu agieren. Angeblich helfen Débys Elitesoldaten sogar, Waffenlieferungen an die RSF abzusichern, wie die Plattform „Africa Confidential“ berichtete.
Die Emirate sind bisher glimpflich davon gekommen, die EU hat gegen sechs Unternehmen Sanktionen erlassen, die sowohl die RSF als auch die reguläre Armee unterstützen. Zwei der Unternehmen, die mit der RSF in Verbindung stehen, hatten Adressen in den Vereinigten Arabischen Emiraten. Die USA sanktionierten den angeblich in Dubai lebenden Algoney Hamdan, den Bruder von RSF-Anführer Mohamed Hamdan Daglo. Im Sommer 2024 sagte der US-Rapper Macklemore sein Konzert in Dubai ab, wegen der Unterstützung für die RSF-Miliz im Sudan.
Die Herrscher störte es wenig. Warum setzen die Emirate wegen des Sudan ihren Ruf aufs Spiel? Riskieren eine Klage vor dem IGH? „Die Interessen der VAE im Sudan sind von zahlreichen Faktoren geprägt, vom Gold, der Sicherheit der Seefahrt im Roten Meer, Ernährungsfragen und Handelsinteressen“, sagt Chatham House. Da ist zuerst das Gold. Beide Kontrahenten im Sudan, sowohl die reguläre Armee SAF als auch die Miliz RSF, finanzieren sich zu einem guten Teil über Gold, die Minen des Sudan gehören zu den ertragreichsten des afrikanischen Kontinents. Viel davon geht in die Emirate, die in den vergangenen Jahren zu einem der weltweit größten Goldhändler aufgestiegen sind. Auch, weil man nicht so genau hinschaut, woher das Edelmetall kommt. Die Organisation Swissaid schreibt in einem Bericht: „Zwischen 2012 und 2022 importierten die VAE 2569 Tonnen Gold aus Afrika, das nicht für die Ausfuhr aus afrikanischen Ländern deklariert war.“ Es hatte einen Wert von 115,3 Milliarden Dollar. Der Sudan lieferte 2022, im letzten Jahr vor dem Krieg, nach offiziellen Angaben Gold für 2,3 Milliarden Dollar in die Emirate. Die tatsächliche Menge könnte zuletzt deutlich höher gewesen sein. Mit einem Teil der Erlöse wurden in den Emiraten von der RSF offenbar Waffen gekauft, ihr Anführer besitzt selbst einige Goldminen.
Eine Sprecherin des Außenministeriums der Vereinigten Arabischen Emirate dementierte: „Die VAE weisen entschieden jede Behauptung zurück, seit Beginn des Konflikts Waffen oder militärische Ausrüstung an eine der Kriegsparteien geliefert zu haben. Wir weisen alle haltlosen und unbegründeten Behauptungen über eine Beteiligung der VAE am Krieg im Sudan zurück. Wir sind uns bewusst, dass die VAE derzeit das Ziel einer koordinierten Desinformationskampagne sind, die darauf abzielt, unsere Außenpolitik, unsere regionale Rolle und unsere humanitären Bemühungen zu untergraben.“
Für die Emirate geht es aber um mehr. Sie wollen langfristig von Öl und Gas wegkommen und eine Regionalmacht werden, ihren Einfluss vor allem nach Afrika ausdehnen. Der emiratische Konzern DP World baut weltweit Containerterminals, auch am Roten Meer, in Ägypten, Somaliland und Djibouti. Der Sudan wäre ebenfalls interessant. Das Land hat zudem, was den Emiraten fehlt: landwirtschaftliche Flächen für Getreide und Tierzucht. 50 000 Hektar bewirtschaften Firmen aus den Emiraten dort bereits, kurz vor Ausbruch des Krieges wurden Verträge für 160.000 weitere unterzeichnet. Dazu kommen politische Motive: Die Emirate unterstellen der sudanesischen Armee nicht ganz zu Unrecht eine Nähe zur Muslimbruderschaft. Dessen Islamismus bekämpfen sie überall in ihrem Umfeld. Außerdem soll Herrscher Scheich Mohammed bin Zayed dem RSF-Anführer Daglo in Dankbarkeit verbunden sein, denn der hatte der Koalition gegen die Huthi in Jemen, an der sich auch die Emirate beteiligen, Tausende Söldner geschickt. Den Krieg gegen die Huthi konnten sie dennoch nicht gewinnen.