In mehreren deutschen Städten hat sich in den vergangenen Monaten eine Serie mutmaßlich islamistisch motivierter Messerangriffe ereignet. Die Taten werfen Fragen nach Verbindungen, Hintergründen – und möglicher politischer Einflussnahme auf. Ermittler und Extremismusexperten beobachten vor allem ein alarmierendes Muster: Die Täter sind häufig jung, isoliert – und radikalisieren sich online.
Der wohl symbolträchtigste dieser Angriffe ereignete sich am 21. Februar 2025 – nur zwei Tage vor der Bundestagswahl – am Holocaust-Mahnmal in Berlin. Zwischen den Betonstelen stach ein Mann einem spanischen Touristen mit einem Jagdmesser in den Hals und rief dabei „Allahu akbar“. Der schwer verletzte Mann überlebte nur dank einer Notoperation. Am selben Abend stellte sich ein 19-jähriger Syrer der Polizei. In seinen Taschen fanden sich Koranverse und ein Treueeid auf den IS. Gegenüber der Polizei erklärte er, aus „dschihadistischen und antisemitischen Motiven“ gehandelt zu haben.
Der Berliner Angriff war kein Einzelfall. Seit Mitte 2024 kam es zu ähnlichen Taten in Mannheim, Solingen, Linz am Rhein, München und zuletzt Bielefeld. Die Behörden untersuchen mögliche Verbindungen – bislang ohne belastbare Hinweise auf koordinierte Netzwerke. Auch Berichte über russische Einflussversuche im Vorfeld der Bundestagswahl konnten nicht bestätigt werden. Zwar registrierte das ZDF verdächtige Suchanfragen aus russischen IP-Adressen vor dem Mannheimer Anschlag. Doch der BND und das Bundesamt für Verfassungsschutz warnten vor voreiligen Schlüssen. Solche IP-Adressen könnten auch durch VPN-Dienste verschleiert sein. „Kein belastbarer Beleg für russische Beteiligung“, heißt es aus Sicherheitskreisen.
Trotzdem erkennen Experten wie Hans-Jakob Schindler vom Counter Extremism Project eine klare Linie: „Die meisten Täter waren nicht oder nur lose in Netzwerke eingebunden. Sie radikalisieren sich allein – und zwar im Netz.“ Das Phänomen hat einen Namen: Mitmach-Dschihad. Besonders soziale Netzwerke fungieren als Radikalisierungsraum. Videos radikaler Prediger, IS-Propaganda, Bilder aus Gaza – all das präge eine toxische Mischung aus Wut, Ohnmacht und ideologischem Hass.
Viele Täter seien jung, impulsiv – und psychisch labil. Beim Kita-Angriff in Aschaffenburg etwa diagnostizierte ein Gutachten dem mutmaßlichen Täter eine psychische Erkrankung und Schuldunfähigkeit, auch wenn islamistische Tendenzen nachweisbar seien. Ähnliche Zweifel bestehen beim Anschlag auf eine Verdi-Demo in München.
Der Krieg in Gaza wirkt als Brandbeschleuniger. Gruppen wie „Muslim Interaktiv“ oder „Generation Islam“ verbreiten gezielt drastische Bilder und Narrative. Die Botschaft: „Ihr lebt im Feindesland – wehrt euch!“ Auch die Attentäter von Mannheim, Solingen und Berlin sollen sich laut Ermittlern durch den Gaza-Krieg zum Handeln motiviert gefühlt haben.
Besorgniserregend ist vor allem das Alter mancher Tatverdächtiger. An Ostern 2024 nahm die Polizei vier Jugendliche im Alter von 15 und 16 Jahren fest, die über Telegram Anschläge auf Kirchen und Polizeistationen geplant hatten. Sie kannten sich nur online, schickten sich IS-Videos und radikalisierten sich gegenseitig. Drei von ihnen wurden inzwischen zu Jugendstrafen verurteilt.
Auch in anderen Fällen – etwa in Solingen oder Mannheim – fanden Täter über Telegram Kontakt zu vermeintlichen IS-nahen Personen, die sie zum Attentat ermutigten. Wer diese Hintermänner sind, bleibt bislang unklar.
Trotz der Wucht der Schlagzeilen: Islamistisch motivierte Taten machen nur einen kleinen Teil der gestiegenen Gewaltkriminalität aus. Vorläufige Zahlen zeigen: Nicht-deutsche Tatverdächtige sind zwar statistisch überrepräsentiert – oft aber auch unter den Opfern. Doch mediale und politische Aufmerksamkeit konzentriert sich häufig auf Taten mit Migrationsbezug, während Angriffe durch deutsche Täter – wie zuletzt durch eine psychisch auffällige Frau am Hamburger Hauptbahnhof – rasch aus dem Fokus geraten.
Die Radikalisierung über das Smartphone entzieht sich häufig dem Blick des sozialen Umfelds – und damit auch der Früherkennung durch Polizei und Verfassungsschutz. „Der IS muss kaum noch aktiv rekrutieren“, sagt Schindler. „Die stellen ihre Propaganda online – und der Algorithmus erledigt den Rest.“
Ein weiteres Problem: Die Täter orientieren sich zunehmend an früheren Taten. Ermittler schließen einen Nachahmungseffekt nicht aus – insbesondere bei spektakulären oder symbolischen Angriffen wie in Berlin. Die Herausforderung für die Sicherheitsbehörden ist groß: Es geht nicht nur darum, potenzielle Täter zu identifizieren – sondern auch, eine neue Welle jugendlicher Online-Dschihadisten frühzeitig zu stoppen.
Hintergrund: Islamistischer Terror in Deutschland seit 2023
- Mai 2024: Messerangriff in Mannheim auf Polizisten – ein Beamter stirbt.
- August 2024: Angriff in Solingen – Motiv offenbar islamistisch.
- September 2024: Zwischenfälle in Linz am Rhein und München.
- Februar 2025: Anschlag am Holocaust-Mahnmal in Berlin.
- Februar 2025: Angriff auf eine Verdi-Demonstration in München.
- Juni 2025: Messerattacke in Bielefeld – Motiv noch unklar.